‚Wieder mal eine Zeitschrift von frustrierten Philosophen für frustrierte Philosophen. Wer weiß, wie lange die sich diesmal hält’, werden einige von Euch denken. Auch wir wissen es nicht. Aber eines wissen wir: die bloße Kritik an den Zuständen im herrschenden Lehrbetrieb, die aufkommende Frustration über die Sinnlosigkeit des „Philosophierens“ in den Seminaren genügt nicht als solide Grundlage für die Arbeit an einer Zeitschrift. Blinder Aktionismus nach dem Motto ‚Tu irgendwas, aber tu was’ reicht vielleicht hin, um eine Zeitschrift zu gründen und eine Zeit lang sein Publikum für den eigenen aufgestauten Unmut zu finden; aber diese Unmittelbarkeit des Handelns trägt nicht; sie hat schon den Keim des Untergangs in sich, wie es in der Sprache der Philosophen so anschaulich heißt.
Für eine Zeitschrift – und erst recht für eine alternative zum herrschenden Lehrbetrieb – braucht es ein Programm. Und das haben wir! Ein klares, nachvollziehbares und festumrissenes Programm, das wir Euch vorstellen wollen.
Philosophie – wofür?
Beginnen wir zunächst mit der zweiten Frage, die seit eh und je an die Philosophie gerichtet worden ist. Nicht: „Was ist eigentlich die Philosophie?“ – die spezifische Aneignung der Welt als Totalität –, sondern: „Was soll Philosophie?“ Wozu ist sie eigentlich gut? – Eine berechtigte Frage. Sie ist sogar so berechtigt, dass sie nicht nur immer wieder die Philosophen stellen, sondern alle die arbeitenden Menschen, die wissen wollen, was sich Philosophen da mit ihren Geldern eigentlich alles ausdenken, und was damit anzufangen ist.
Philosophie ist für die Philosophie nicht das Letzte. Sie hat ihren Sinn und Zweck nicht in sich, sondern muß sich in ihrem Tun vor der Gesellschaft verantworten und an deren Bedürfnissen und Interessen orientieren. Wie jede Arbeit, so ist auch die philosophische zugleich gesellschaftliche Arbeit. Im Grunde ein so selbstverständlicher und naheliegender Gedanke, dass er den meisten unserer Philosophen aufs Höchste suspekt ist.
Einiges über das „Münchner Philosophieren“ oder die Selbstgenügsamkeit der Philosophie
Leugnet man diese Erkenntnis, geht man also vom ‚immanenten Zweck’ der Philosophie, von der Philosophie als Selbstzweck, aus, dann befinden wir uns schon auf dem besten Wege, uns der gesellschaftlichen Realität zu entheben und in die lichten Höhen der „Münchner Philosophie“ zu entschweben. Aus der lebendigen Wirklichkeit gelangen wir in das tote Reich der verschiedenen Geister, setzen an die Stelle der realen Auseinandersetzung und des wirklichen Lebens die Stille der geistigen Versenkung in eine längst vergangene Gedankenwelt. Die lebendige Unruhe wird ersetzt durch „eine dem philosophischen Geist nicht gerade günstige Bravheit“, wie ein zeitgenössischer Philosoph die gegenwärtige Situation unserer Philosophie zurecht schildert.
Diese Abstraktion und Trennung der „geistigen Welt“ von der Wirklichkeit aber erzeugt nichts anderes als einen ganz unwirklichen Schein der Selbstgenügsamkeit. An die Stelle wirklicher Befriedigung tritt eine Scheinbefriedigung in der Entrückung und Entzückung an jener geistigen Welt, die nur ein paar weltferne Studenten der Philosophie auf die Dauer in ihren Bann ziehen kann. Aber für die anderen führt diese untragbare Kluft zwischen einer Welt der Unsicherheit, der physischen und psychischen Verarmung, der Arbeitslosigkeit und der Kriegsgefahr einerseits und der heiteren, unbeschwerten, mit sich zufriedenen Gedankenwelt der Philosophen andererseits zu einem Widerspruch, den selbst der Stärkste nicht langer auszuhalten vermag, und der ihn am Sinn der Philosophie zweifeln lässt.
Dieser Widerspruch ist jedoch keineswegs das Problem der Philosophie insgesamt, sondern der “Münchner Philosophie“, insofern sie mit dem Mittel der Abstraktion bewusst oder unbewusst statt zu Erklärung, nur zur Verklärung der gesellschaftlichen Zustände beiträgt.
Zum Verhältnis von Philosophie und Wirklichkeit
Philosophie, die nicht Selbstzweck ist, hatte immer schon ein bewusstes Verhältnis zum gesellschaftlichen Leben, zu den Aktionen, Gedanken und Ideen der Menschen. Wirkliche Philosophie hat nie sich selbst, sondern immer das wirkliche Leben zum Gegenstand.
Nur – wie verhält sie sich zu diesem ihrem Gegenstand? Verhält sie sich zu ihm nur theoretisch oder auch praktisch? Ist die Aufgabe der Philosophie, in einer gleichsam titanischen Anstrengung eine irgendwie aus den Fugen geratene Wirklichkeit im Begriffe, im philosophischen Denken, nochmals zusammenzubringen und sie als letztlich doch vernünftig zu erweisen? Oder ist es ihre Aufgabe, den Menschen Zielvorstellungen zu artikulieren, ihnen Perspektiven zu formulieren und zu begründen, die auf einen gesellschaftlichen Fortschritt hinorientiert?
Nach unserer Auffassung kann sich das philosophische Denken ebensowenig selbst genügen wie es nur ein theoretisches „Auf-den-Begriff-bringen“ ist. Philosophie soll dem gesellschaftlichen Fortschritt dienen und sie muß dies, wenn sie dem Leben der Menschen überhaupt etwas geben will. Nicht abstrakte Utopien, unwirkliche Wunschvorstellungen von einer anderen, besseren Welt, sondern mögliche und realistische Ziele soll die Philosophie nach unserer Auffassung setzen und begründen.
Wir verwechseln nicht den Missstand und den Stillstand des philosophischen Fachbereichs mit der Wirklichkeit. Wir sehen eine Welt, die auf Veränderung drängt, die unter vielen Qualen und mit großen Mühen Neues hervorbringen will und wird; Aufgabe der Philosophie ist es, dieses „Neue“ zu formulieren und ihm zur Realität zu verhelfen. Die Einheit von Theorie und Praxis, von Philosophie und tätiger Veränderung mag zwar ein theoretisches Problem sein, seine Lösung aber ist allemal eine Sache der Praxis.
Die arbeitenden Menschen in den Betrieben und Büros, im Studium und im Beruf, die oft orientierungslos um ihre Existenz kämpfen müssen, sie haben ein Recht auf eine Philosophie, die ihnen weder erklärt, dass ja letztlich alles seine Ordnung habe, noch weißmachen will, wie sie sich zu verhalten haben und was eigentlich rechtens sei, sondern eine Philosophie, die sich ihrer Interessen annimmt, sie artikuliert, verallgemeinert und bei ihrer Realisierung behilflich ist.
Unsere Zeitschrift – Ein Organ der lebendigen Diskussion …
Unsere Zeitschrift möchte wieder einmal die Wirklichkeit, in der wir leben, wenn wir nicht auf gut münchnerisch philosophieren, und die vor den Seminaren halt machen musste, in die Philosophie einbringen. Wir wollen uns nicht weiterhin mit scholastischen Pseudo- und Sekundärproblemen herumschlagen, sondern sie in der Weise aufnehmen und diskutieren, wie sie uns die Wirklichkeit stellt, – und zwar sub specie ihrer Veränderung.
Wir wissen, dass das schwierig und kompliziert ist. Wir wollen keine Popularphilosophie treiben, die jedem nach dem Munde redet; auch keine „politische Philosophie“ im Sinne eines Teilgebiets der Philosophie, sondern eine Philosophie, die sich in ihren innersten Quellen dem historischen und dem sozialen Fortschritt verpflichtet weiß. Wir sehen auch, wie schwer das gegenwärtig ist. Gerade heute, wo ganze philosophische und wissenschaftliche Institute es sich zur Aufgabe gemacht zu haben scheinen, uns zum Verzicht auf Veränderung, auf Fortschritt mit allen nur erdenklichen Mitteln zu bewegen. Aber wir beziehen unser Vertrauen auf eine bessere Zukunft aus den Kräften der Vergangenheit und der Gegenwart, die diese Verzichtserklärungen nicht gemacht haben, die sich dem Fortschritt der Menschheit verpflichtet gefühlt haben und weiterhin fühlen. Wir orientieren uns am Gedankengut vergangener und gegenwärtiger Philosophen, die ihre theoretische Arbeit in den Dienst praktischer Veränderung von Natur und Gesellschaft gestellt haben.
… und ein Gegner von Dogmatismus und Reduktionismus in der Philosophie
Was wir unter allen Umständen vermeiden wollen und vermeiden werden, ist engstirniger Dogmatismus, lebensfernes Sektierertum und unphilosophische Rechthaberei. Wir vertreten keinen Alleinvertretungsanspruch in den Fragen des Fortschritts und der Entwicklung von Menschheit und Gesellschaft.
Die Zeitschrift soll ein Forum der Diskussion, eine Plattform der lebendigen Auseinandersetzung um die wesentlichen Fragen über unsere Gegenwart und um die Perspektiven der Zukunft sein, an der sich jeder Interessierte beteiligen kann und sollte.
Allerdings – sie soll eine philosophische Zeitschrift werden, eine Zeitschrift, die diese Fragen und Probleme unter philosophischen Aspekten und Gesichtspunkten thematisiert und behandelt.
Sicherlich sind auch die Probleme der Wissenschaftstheorie, der Erkenntnistheorie, der Sprache, der Logik und Mathematik, oder der Platon- und Aristoteles-Deutung philosophische Probleme. Aber wir wenden uns gegen die verkürzte Auffassung, Philosophie hätte keine andere Aufgabe, als über die bestehenden Wissenschaften zu reflektieren, oder sei nicht mehr als die Erinnerung und Vergegenwärtigung vergangener Philosophie, und sei darauf zu reduzieren.
Philosophie ist für uns in erster Linie und vor allem die geistige Aneignung der Wirklichkeit als Totalität; nicht lebensferne Abkapselung und weltfremde „Theoretisierei“, sondern die geistige Öffnung zur wirklichen Welt, die Aufnahme und theoretische Verarbeitung ihrer Probleme und die Entwicklung und Begründung von Perspektiven und Zielvorstellungen. Diese Offenheit schließt sowohl Dogmatismus als auch Reduktionismus aus.
Einladung
Wir wollen eine Zeitschrift gestalten, die all dies berücksichtigt, die interessante, diskussionswürdige und perspektivreiche Beiträge veröffentlicht, die wichtige Informationen über das philosophische Geschehen gibt, sich mit der gegenwärtigen Philosophie vor allem in München kritisch auseinandersetzt und – die dazu Eure Unterstützung und Mitarbeit braucht.