Heft 22: Wozu noch Intellektuelle?
5,00 €
inkl. 7 % MwSt. zzgl. Versandkosten
12. Jahrgang, 1992, 134 Seiten, broschiert
Vorrätig
Zum Thema
WIDERSPRUCH 19/20 warf die Frage nach der „geschichtlichen Perspektive“ und dem „Ende der Linken“ auf. Das vorliegende Heft knüpft an diese Problematik an und weist zugleich darüber hinaus, indem es eine grundsätzliche Diskussion über den gesellschaftlichen Ort der Intelligenz heute führt.
Die universelle Dominanz ökonomischer Rationalität und die Durchsetzung ihrer technologischen Strategien erfordern eine Sichtweise, der es nicht mehr explizit um das politische und moralische Selbstverständnis des Intellektuellen geht, sondern um die kritische Reflexion seiner Grundlagen.
Zur Disposition steht das nachhaltig erschütterte Fundament der modernen Intelligenz: Bildung als Synthese von Wissen und Vernunft, deren emanzipatorischen Gehalte der Linksintellektuelle sich verpflichtet wußte. Bildung gerät zur funktionalisierbaren Ausbildung, Wissen zum unmittelbar dem Verwertungsinteresse unterworfenen, partikularen Spezialwissen. Haben die sog. „Geisteswissenschaften“ damit ihre traditionelle Autonomie, die es ihnen ermöglichte, auch emanzipatorische Inhalte zu formulieren, endgültig eingebüßt? Werden diese Inhalte von anderen Wissenschaften wahrgenommen, die einen neuen Typus des Intellektuellen erfordern?
Vernunft – und damit auch die Philosophie – scheint ihren kritischen Blick aufs Ganze verloren zu haben. Sie präsentiert sich heute als technokratischer Pragmatismus, der auch sinnstiftende und kompensatorische Technologien im Dienst sozialer und psychischer Hygiene einschließt.
Sind diese Erscheinungsformen von „Bildung“, „Wissen“, „Vernunft“ nur mehr als Verfallsprodukte – gemessen an ihren ursprünglichen Intentionen – einzuschätzen? Oder am Ende als deren erfolgreiche Realisierung, zur Kenntlichkeit entstellt? Läßt sich unter den gegenwärtigen ökonomischen, sozialen und technologischen Bedingungen überhaupt noch eine Perspektive gesellschaftskritischer Intellektualität bestimmen?
Robert Kurz begreift seinen Beitrag als umfassende Diagnose der Modernisierung, die auch den traditionellen Marxismus einschließt. Als deren Kern weist der Autor – in Erweiterung der Marxschen Wertformanalyse – die Herrschaft abstrakter Arbeit auf. Daraus erschließt Kurz auch den symptomatischen Verfall begrifflich-theoretischen Denkens – vor allem in seiner institutionalisierten, akademischen Form. Nur auf der Grundlage radikaler Kritik der abstrakten Arbeitsform kann sich – außerhalb des akademischen Bereichs – ein neues Theorie-Praxis-Verhältnis herauskristallisieren, das die Selbstaufhebung der Moderne einleiten könnte.
Anschließend entwirft Alexander von Pechmann eine historische und kritische Typologie des Linksintellektuellen, die in die überraschende Pointe einmündet, daß der Funktionsverlust des Linksintellektuellen als erfolgreiche Transformation linker Ideale in die realen Strukturen der Gesellschaft“ zu begreifen sei.
In seinem Beitrag zeigt Albrecht Koschorke, daß die durch die elektronischen Medien bedingte „informationelle Revolution“ einen epochalen Bruch darstellt. Die Ablösung der Schrift- und Buchkultur durch die neuen Medien zieht Konsequenzen für das Verhältnis von Imagination und Wirklichkeit wie für das begrifflich-diskursive Denken nach sich, die das tradierte Selbstverständnis des Intellektuellen radikal unterminieren.
Peter Kurz erörtert unter den veränderten gesellschaftlichen Voraussetzungen bildungspolitische Konzepte und stellt Perspektiven der Bildungspolitik vor.
Das Gespräch von Roger Behrens und Harald Lemke mit Ulrich Sonnemann schließlich porträtiert einen Denker, dessen Philosophie als reflektierte gesellschaftliche Erfahrung stets quer zu philosophischen Trends und Moden lag. Ein ausführlicher Rezensionsteil von Büchern zum Thema und anderen Neuerscheinungen ergänzt und erweitert die in den Artikeln diskutierte Problematik.
Ein Diskussionsbeitrag von Wolfgang Bialas, Berichte ber das Göttinger „Institut für angewandte Kulturwissenschaften“ (IfaK) und die Tagung der „Fördergemeinschaft Friedrich Nietzsche“ beschließen den Band.
Die Redaktion