Heft 68: Die Neue Rechte
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38. Jahrgang, 2019, 166 Seiten, broschiert
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Zum Thema
Nach dem ,Kalten Krieg‘ der Systeme bestand durchaus die Hoffnung, die Welt würde ökonomisch und politisch zusammenwachsen. Doch dieser schöne Traum globaler Kooperation zerstob rasch an der Realität, man denke nur an den angeblichen ,Kampf der Kulturen‘ und die verheerenden Kriege im Nahen Osten. Bald schon bekam auch die ,westliche Kultur‘ ihre Risse. An ihre Stelle trat zunehmend der nationale Diskurs, erst in Ost-, dann in Westeuropa und schließlich unter Trump auch in den USA.
Den bisherigen Tiefpunkt der Regression des politischen Denkens in Deutschland bilden jedoch die Debatten um eine „völkische Identität“. Nicht mehr die universelle Vernunft, die das Ganze im Blick hat, sondern das borniert-partikulare Gefühl der Verbundenheit mit dem eigenen Volk, der Mikrokosmos der Heimat, solle Bezugspunkt des politischen Handelns sein.
Diesem Niedergang des politischen Denkens korrespondiert der Aufstieg der Neuen Rechten. Aus sektiererischen Spinnern und durchgeknallten Pseudotheoretikern am rechten Rand wurden in den letzten Jahren Stichwortgeber im öffentlichen Diskurs. Krude Wortgebilde wie Umvolkung, Genderwahn und Heimatverlust haben Bedeutung erlangt und werden im öffentlichen Raum diskutiert. Damit besteht auch der Zwang, sich mit dem Weltbild der Rechten, seinen Quellen, Ursachen und politischen Zielen auseinanderzusetzen.
Der ideologische Aufstieg der sogenannten Neuen Rechten vollzog sich rückblickend stetig und schleichend. So wurden alte Feindbilder revidiert. Im Juli 2007 etwa wurde in der Jungen Freiheit der Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg vom Volksverräter zum Helden erhoben. Man sagte sich vom Nationalsozialismus Hitlers und damit vom allzu platten Rassismus los, um an ihre Stelle den „Ethnopluralismus“ zu setzen, nach dem jedes Volk mit seiner Kultur seinen angestammten Platz auf der Erde habe und die Vermischung der Völker ein ‚unnatürliches‘ Übel sei. Man beschwört jedoch weiterhin die nationale Größe und räsoniert über die „bewundernswerte“, „erfolgreiche“ Geschichte der Deutschen und über deutsche Helden, usurpiert wieder einmal die ,Dichter und Denker‘ und fordert, dass jeder und jede sich mit dem eigenen Volk und der Nation zu identifizieren habe: PatriotIn sein müsse. Weder erklären die Rechten, was dies gemeinte Volk genau sei, noch warum man sich mit ihm identifizieren sollte, oder wozu eine Nation gut sei. Dies habe man schlicht zu glauben und sich singend und grölend zur ersten Strophe des ‚Deutschlandliedes‘ zu bekennen.
Dieses Gerede von Heimat, Volk und Vaterland, Geschichte und Nation bleibt jedoch nicht auf rechtsextreme Kreise beschränkt, sondern hat sich allmählich bis in die seriösen Tageszeitungen und Magazine sowie in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ausgebreitet. Man darf die „Alternative für Deutschland“ (AfD) ungeniert eine „bürgerliche“ Partei nennen; man greift deren Themen auf, wonach die bürgerliche Mitte allzu lang die Bedürfnisse nach Heimat oder nationaler Identität vernachlässigt und den Rechten überlassen habe. Diese Begriffe, so heißt es, müssten wieder selber besetzt und den Rechten entwunden werden. Das aber bedeutet: Die bürgerliche Mitte nimmt das rechte Gedankengut in sich auf.
Doch nicht nur die Medien, auch staatliche Organe, wie Bundeswehr, Polizei und Verfassungsschutz, sind von rechtem Denken infiltriert. Rechtsextreme Verbrechen und Terroranschläge, oft in dunklen Netzwerken geplant und ausgeführt, werden nicht selten mit der Theorie des „Einzeltäters“ bagatellisiert.
Neben oder hinter diesen politischen Parteien, Gruppen und Netzwerken hat sich seit Jahren ein Kreis von Intellektuellen herausgebildet, die den neurechten Strömungen wie der fremdenfeindlichen Pegida, dem faschistischen ‚Flügel‘ der AfD, der ‚Identitären Bewegung‘ oder der ‚Ein-Prozent-Bewegung‘ eine theoretische Fundierung liefern. Nimmt man allerdings diese, auch philosophisch beschlagenen, neurechten Theoretiker genauer in den Blick, so landet man sehr schnell wieder bei der alten Rechten, bei den Helden der sogenannten „Konservativen Revolution“ der 1920er Jahre sowie den Vor- und Nachdenkern des Faschismus. Es sind Ernst Jünger und Martin Heidegger, Carl Schmitt und Arnold Gehlen, die in den Publikationen des rechten Antaios-Verlags und seiner Zeitschrift Sezession recycelt werden, oder die Pate für vorgeblich neues Denken stehen. Hinzukommen die rechtsextremen Vordenker aus Frankreich wie Alain de Benoist und Renaud Camus, von denen man die Mär vom „großen Austausch“ übernimmt, die von dem Plan der europäischen Regierungen erzählt, die einheimische autochthone Bevölkerung durch muslimische Einwanderer zu ersetzen.
Bei alldem geht es rechtem „Denken“ stets um die Identifikation mit der deutschen Nation und deren Geschichte, um die Herabminderung und Relativierung der Bedeutung der NS-Zeit und des Holocaust. Als Hauptfeind rechten „Denkens“ erscheint, wie schon bei Carl Schmitt, das zersetzende Denken des vorherrschenden Liberalismus. Was bei Peter Sloterdijk etwa noch vornehm das „dominante linksliberale Feuilleton“ heißt, wird im vulgären Sprachgebrauch von AfD, Pegida u.a. zum „grün-linksliberal versifften Mainstream“. Und seine affektive Grundeinstellung ist das völkische Ressentiment gegen die „Anderen“: gegen Fremde, Ausländer, Asylbewerber, Andersgläubige. Die Neue Rechte ist bekennend islamophob und – auch wenn sie das immer noch bestreiten will – im Kern antisemitisch.
Das vorliegende Heft befasst sich mit der Theoriebildung der Neuen Rechten, ihren Debatten um eine „völkische Identität“ sowie ihre Art der Rezeption der philosophischen Tradition.
Den Anfang macht der Artikel von Helmut Kellershohn, der den Wandel der AfD von einer nationalen, europakritischen Partei zu einer zunehmend völkischen Bewegung und ihre damit verbundene interne Debatte um die Wirtschafts- und Sozialpolitik nachzeichnet.
Freerk Huisken weist in seinem Beitrag auf die zahlreichen Überschneidungen und Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen – sozialdemokratischen, liberalen, konservativen wie völkischen – Diskursen um den Nationalstaat hin.
Der Beitrag von Richard Siegert setzt sich kritisch mit den Strategien der Rechten auseinander, antikapitalistische Theorien der Linken ins Projekt einer „völkischen Identität“ zu integrieren.
Klaus Weber geht den Anknüpfungspunkten der Neuen Rechten im Werk von Peter Sloterdijk als einem Kritiker der Vernunft nach.
Bernhard Schindlbeck analysiert zum einen die Aneignung Martin Heideggers durch die neurechten Intellektuellen und zum anderen Heideggers eigene völkische Tendenzen, die ihn für sie heute anschlussfähig machen.
Den Artikeln folgen Rezensionen aktueller Bücher zum Thema, die einen Überblick über die gegenwärtige Debatte geben.
Das Sonderthema des Hefts ist Theodor W. Adorno gewidmet. Daniel Pucciarelli diskutiert den Materialismus Adornos auf der Folie der gegenwärtigen ‚Materialismus-Debatte‘.
Der Rezensionsteil interessanter Neuerscheinungen beschließt das Heft.
Die Redaktion