Heft 32: Problem Bildung
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18. Jahrgang, 1998, 136 Seiten, broschiert
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Zum Thema
Die Zeit der bundesweiten Hochschulstreiks und Studentendemonstrationen ist vorbei. Im Rückblick ist leicht zu verstehen, was diese Unruhe der Universitäten verursacht hat: die unzureichende finanziell-materielle Ausstattung der Hochschulen, die fehlenden Perspektiven für viele Studenten am Arbeitsmarkt sowie die bildungspolitischen Pläne, den Bildungsbereich dem „Wirtschaftsstandort Deutschland“ anzupassen.
Die Gründe für das klanglose Ende dieses Protestes aufzufinden, ist weit schwieriger. Sicher waren dafür die mangelnde Klarheit der Forderungen auf Seiten der Protestierenden sowie die Unbeweglichkeit der Politiker und Kultusbürokraten verantwortlich. Darüber hinaus zeigte der Protest aber auch eine tiefe Verunsicherung darüber, was heute denn überhaupt unter Bildung zu verstehen sei. Es mag sein, daß diese Unsicherheit, wie mancher Ex-Aktivist so beredt beklagt hat, aus der Theorielosigkeit der heutigen Studierenden herrührt. Doch warum sollten die Studenten klüger als die Gesellschaft sein? Wir meinen, da die Verunsicherung über das, was „Bildung“ heute heißt, kein bloß bildungs- und hochschulpolitisches Phänomen ist, sondern die geistig-politische Situation in Deutschland betrifft. Das stille Scheitern der Hochschulbewegung weist auf Grundsatzprobleme hin. Von Seiten der „beobachtenden“ Sozialwissenschaften, insbesondere von Niklas Luhmann, ist seit langem darauf verwiesen worden, daß in das Bildungs- und Erziehungssystem im Grunde zwei verschiedene und verschieden begründete Zielvorstellungen eingehen: die eine manifestiere sich in einem Feld zielgerichtet qualifizierender Beeinflussungen, die andere in einem breiteren Feld der Persönlichkeitsentwicklung. Die auf Ausbildung gerichtete Erziehung, so Luhmann, sei eine Zumutung, die auf die Persönlichkeit bezogene Bildung ein Angebot. Und ebenso ist von dieser Seite seit längerem angemahnt worden, daß diese beiden Ziele, Ausbildung und Bildung, in der Gefahr stehen, sich nicht mehr wechselseitig vermitteln zu können, sondern sich gegenseitig zu behindern, und daß dieser Zielkonflikt zur Krise und zum Stillstand des Bildungssystems führen könne[1].
Im folgenden nehmen wir diese Beschreibung des Bildungssystems zwar auf, aber wir wollen dessen Krise nicht dadurch erklären, daß eine, die beiden Ziele Bildung und Ausbildung vermittelnde Konzeption fehlt, sondern daß sich in der aktuellen bildungspolitischen Diskussion mehrere Bildungskonzeptionen finden, deren Begründungen und Orientierungen verschieden sind, und die ihre je eigene Tradition, Legitimität und Überzeugungskraft haben.
Hierbei nehmen wir Bezug auch auf Diskussionen in unserer Redaktion, die uns gezeigt haben, daß die Frontstellungen nicht nach dem Muster „Klarheit gegen Unklarheit“ verlaufen, sondern da die jeweilige Position durchaus auf einem Wissen dessen gründet, was „Bildung“ sei. Diese, nicht auf dem Mangel, sondern auf der Pluralität der Konzepte gegründete Situation ist es, die unseres Erachtens die bildungspolitische Unsicherheit und handlungslähmende Orientierungslosigkeit erzeugt.
Die folgenden drei Beiträge stellen, gleichsam idealtypisch, drei Konzeptionen von Bildung vor. Der erste ist ein Plädoyer für die Bildung als Selbstzweck, der anschließende Beitrag begreift die Bildungs- und Ausbildungsprozesse als Mittel, die der Emanzipation des Menschen dienen; und der dritte schließlich bringt Argumente, Bildung als eine pragmatische Veranstaltung zu verstehen. Da die Artikel nicht nur inhaltlich, sondern auch der argumentativen Form nach mehr oder weniger die Auffassung und Überzeugung der Autoren zum Ausdruck bringen, haben wir darauf verzichtet, sie einander methodisch anzugleichen.
Die Redaktion
[1] Siehe: Dieter Lenzen/Niklas Luhmann (Hg.), Bildung und Weiterbildung im Erziehungssystem, Frankfurt/Main 1997; sowie die Rezension von I. Knips in diesem Heft.