Heft 38: Ökologische Ästhetik

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22. Jahrgang, 2002, 172 Seiten, broschiert

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Zum Thema

Die Ökologie scheint derzeit aus dem Blickpunkt geraten zu sein. Andere Themen bestimmen die öffentliche Debatte. Im Zuge der Globalisierung und ihrer Folgen sind wieder die klassischen Fragen der Wohlstandsbewahrung, der sozialen Gerechtigkeit und des Verhältnisses der Kulturen in den Vordergrund gerückt. Dennoch schwelt das Ökologieproblem unter der Oberfläche der sich vernetzenden Welt ungelöst weiter. So ist die Frage offen geblieben, ob die Lösungen der sogenannten Umweltkrisen tatsächlich auf dem Gebiet der Technologie zu finden und daher an die Wissenschaftler, Techniker und das politische Management zu delegieren sind, oder ob sie nicht vielmehr eine grundlegende Veränderung unserer Produktionsweise und damit eine Neubestimmung des Mensch-Natur-Verhältnisses erfordern.

Elmar Treptow – seit der Gründung des Widerspruchs so etwas wie der geistige Mentor und das philosophische Gewissen der Redaktion – hat jüngst das Buch „Die erhabene Natur. Entwurf einer ökologischen Ästhetik“ veröffentlicht. Dieses Werk kann – am Ende seiner akademischen Laufbahn – als die Summe seines philosophischen Wirkens gelten, in der er, auch selbstkritisch, liebgewonnene Ansichten und Auffassungen kritisiert. Einem fortschrittlichen, den Prinzipien des Humanismus verpflichteten, Menschen muß der Titel seines Buches als befremdend, ja bedrohlich erscheinen. Ist doch die Natur, so haben wir’s gelernt, allenfalls die Bedingung und der Rohstoff, aus dem der praktisch tätige Mensch die Produkte schafft, die allein erhaben genannt zu werden verdienen. Elmar Treptow weiß dies alles; – und gerade deshalb zielt er am Ende auf die Einsicht, da die Natur es ist, die erhaben ist und die alles menschlich Große übergreift. Sie ist in ihrer Erhabenheit gleichgültig gegen die menschlichen Zwecke, und die Mißachtung dieser Erkenntnis kann den Menschen in die Katastrophe führen. An dieser Grundeinsicht gemessen, die Treptows Buch vermittelt, müssen all jene politisch-technischen Gegenwartsfragen und Alltagsprobleme als unangemessene Aufgeregtheiten erscheinen. Sein Buch verlangt einen Schritt zurück, um die Themen neu zu sortieren

In seinem einleitenden Beitrag unterscheidet Konrad Lotter zwischen der traditionellen Naturästhetik, die die unberührte Natur aus der Distanz ästhetisch beurteilt hatte, und der ökologischen Naturästhetik, die in ihr Urteil die vom Menschen bearbeitete und geformte Natur einbezieht. Sie reflektiert die Natur im Zustand ihrer Zerstörung und Bedrohung durch die am Wachstum orientierte Ökonomie als Norm und Kriterium der Kritik.

Der Artikel von Jost Hermand enthält eine polemisch gehaltene Abrechnung mit der oberflächlichen Ästhetik einer Spaß- und Erlebnisgesellschaft und hebt – fast überschwänglich – Elmars Treptows Entwurf einer ökologischen Ästhetik in den Rang eines „denkerisches Urgesteins“, das aus dem „unkonkreten Geplätscher“ postmoderner und ideologisch unverpflichtender Theoriebildungen herausrage. Dieser Entwurf zeige nicht nur den Ernst der Lage, sondern auch das Potential einer materialistischen Sehweise, dem ökologischen Problem in abstracto und in concreto Rechnung zu tragen. Eine solche Ästhetik fordere nicht Schönheit, sondern Schonung; nicht Lust, sondern Ehrfurcht und Respekt vor der Natur.

Norbert Walz vertritt einen anderen Ansatz. Er folgt Treptows Entwurf darin, die Natur selbst in ihrer Selbständigkeit und ihren Grenzüberschreitungen als erhaben zu beurteilen; er wendet jedoch in praktischer Hinsicht ein, daß dem Menschen ein Leben gemäß der Natur nicht möglich sei. Denn, so argumentiert Walz im Rückgriff auf Sören Kierkegaard, dem Menschen sei ein Selbstverhältnis eigen, worin er sich in Distanz sowohl zur Natur wie zu sich selbst setzt. Es bleibe die „Absurdität des Lebens“, daß der Tod das sinnvolle Ende des Lebens ist, da er aber auch das Ende meines Lebens ist.

In seinem Beitrag arbeitet Wolfgang Thorwart heraus, daß schon der Streit zwischen Klassik und Romantik um die Frage der Stellung des Menschen zur Natur geführt worden ist. Während die Romantiker in der Bestimmung der modernen Subjektivität mit Kant und Fichte von der freien und naturunabhängigen Phantasiekraft des Menschen ausgegangen seien, haben  Lessing und Goethe den Naturbegriff Spinozas als des produktiv All-Einen zugrundegelegt, und daher den Menschen wie Künstler als Teil der Natur betrachteten, der nachahmend zwar über, aber nicht jenseits der Natur wirke.

In seinen Anmerkungen verweist Rüdiger Brede auf Bestrebungen und Revisionen im Finanz- und Wirtschaftsbereich hin, die eine rein ökonomische Pragmatik zumindest um die Dimension einer ökologischen Ästhetik ergänzen. So sei das Konzept eines „nachhaltigen Wirtschaftens“ gar nicht möglich, ohne die Natur in ihren eigenen Maßen anzuerkennen. Dies spiegele sich in den Geschäftsberichten insbesondere der großen Versicherungen wider.

Manuel Knolls Beitrag geht der Genealogie des modernen Subjekts in Foucaults Der Wille zum Wissen nach. Er rekonstruiert, wie sich nach Foucault das Verhältnis zum Körper und zur Sexualität im modernen Diskurs konstituiert hat, hebt allerdings kritisch hervor, da Foucault gänzlich ausblendet, daß Wünsche und Bedürfnisse sich auch unabhängig vom Diskurs vollziehen.

Neben Rezensionen zum Thema beschließt ein umfangreicher Rezensionsteil von aktuellen Neuerscheinungen den Band.

Die Redaktion