Heft 48: 1968 – Ideen, Entwürfe, Utopien
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28. Jahrgang, 2008, 180 Seiten, broschiert
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Zum Thema
Der 40. Jahrestag der Studentenrebellion von 1968 war Anlass für viele Buchveröffentlichungen und Artikelserien, Vorträge und Fachtagungen, Talk-Runden, Fernsehdokumentationen und Spielfilme. Dabei war das Bild, das von den damaligen Ereignissen vermittelt wurde, auffallend disparat. Während die Konservativen, die einstigen Gegner der Bewegung, im nachhinein oftmals die Verdienste der 68er herausstrichen, längst überfällige Reformen in die Wege geleitet zu haben, übten ehemalige Repräsentanten der Bewegung Selbstkritik und zogen Parallelen zu ihrer Elterngeneration von 1933. Besonders gegensätzlich war die geschichtliche Einordnung. Die einen erklärten 1968 zum Ende der Nachkriegszeit, zum Aufbruch zu einem neuen demokratischen Selbstbewusstsein, einer freieren und offeneren Lebensform; manche verstiegen sich sogar dazu, ein „neues 68“ gegen das politische Desinteresse und die Orientierungslosigkeit vieler Jugendlicher zu fordern. Die anderen machten 1968 für den Verfall von Autorität, Werten und gesellschaftlichen Institutionen wie der Familie verantwortlich, für den Hang zum Hedonismus und zur Verweigerung des Leistungsprinzips; einige Extremfälle wollten in der Studentenbewegung nur die Inkubationszeit für den späteren Terrorismus erkennen, oder sie gar „in den Mülleimer der Geschichte“ werfen.
Ein Mangel vieler Darstellungen war, dass man sich zuviel über die Ereignisse äußerte, aber zuwenig in die Ereignisse selbst eindrang. Sie blieben an der Oberfläche, ohne die Ursachen und Motive sichtbar zu machen. Wenn sich das vorliegende Heft den „Ideen, Entwürfen und Utopien“ der 68er widmet, so werden damit zugleich die geschichtlichen Umstände thematisiert, unter denen diese Ideen aufgegriffen wurden und ihre praktische Wirksamkeit entfaltet haben. Mit der Erinnerung an diese Ideen wird die Frage nach ihrer plötzlichen Attraktion verbunden, die sie unter den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen besessen haben. So erst können die weitergehenden Fragen angegangen werden, welche der Ideen mittlerweile „veraltet“, vielleicht sogar eingelöst sind, oder an Attraktion verloren haben, und welche von ihnen „unabgegolten“ sind und als Versprechen einer besseren Zukunft weiterwirken.
Am Anfang des Heftes stehen die 15 wohl einflussreichsten Bücher, die von den Studenten damals studiert und diskutiert wurden. Einige von ihnen waren, ehe sie von den großen Verlagen veröffentlicht wurden, als Raubdrucke verbreitet. Die darin entwickelten Gedanken umfassen ein weites Spektrum: sie reichen von der materialistischen Geschichtstheorie (Karl Marx’ Frühschriften) über die Frage nach dem „orthodoxen Marxismus“ und dem „verdinglichten Bewusstsein“ des Proletariats (Georg Lukács), die Erneuerung des „Prinzips Hoffnung“, die die Utopie mit einem wissenschaftlichen „Fahrplan“ auszustatten suchte (Ernst Bloch), die Entwicklung eines neuen, dialektischen Theorieverständnisses (Max Horkheimer, Theodor W. Adorno) bis hin zur Verbindung der Utopie mit der Kritik der „Eindimensionalität“ des kapitalistisch-entfremdeten Menschen (Herbert Marcuse).
Einen großen Anteil hatte zudem die Psychologie, die ganz im Zeichen der Psychoanalyse stand und die „Massenpsychologie des Faschismus“ aufdeckte, Strategien zur sexuellen Revolution entwickelte (Wilhelm Reich) oder die psychische Verfassung der Deutschen nach dem Zusammenbruch des faschistischen Führerstaats analysierte (Alexander und Margarethe Mitscherlich).
In der politischen Auseinandersetzung mit dem Imperialismus der USA und anderer Kolonialstaaten gewannen Werke über die koloniale Befreiung (Frantz Fanon) sowie zur Taktik des Partisanenkampfes (Che Guevara) an Bedeutung. Mit der aktuellen gesellschaftlichen und politischen Situation befassten sich die Situationistische Internationale, die mit ihrer Studie über das „Elend im Studentenmilieu“ vor allem in Frankreich für Aufsehen sorgte, sowie Johannes Agnolis „Transformation der Demokratie“, die den schleichenden Verfall demokratischer Errungenschaften konstatierte.
Weit über die Studentenbewegung hinaus haben damals zwei Bücher ihre Wirkung entfaltet: Karl Jaspers’ Kritik an den autoritären Tendenzen der Bundesrepublik der 60er Jahre sowie Simone de Beauvoirs Kritik der Unterdrückung des „anderen Geschlechts“, die die Frauenbewegung der 70er Jahre mitinitiieren sollte.
Es folgen zwei Gespräche mit Autoren, die sich selbst nicht der 68erGeneration zurechnen, die aber die Protestbewegung argumentativ begleitet haben. Oskar Negt, damals Assistent von Jürgen Habermas in Frankfurt, befasst sich mit den Eigentümlichkeiten der Studentenbewegung, mit dem Unvorhergesehenen ihres Aus- und Aufbruchs sowie den Schwierigkeiten, die Ansprüche einer aufs Ganze gehenden praktischen Vernunft mit den Gefühlen der Lust, der Freude und des Spaßes zu verbinden. Heinz Paetzold versucht im Gespräch in die Zukunft zu blicken und anhand der gegenwärtigen Ereignisse und Theoriedebatten das „Unabgegoltene“ und den utopischen Gehalt der 68er-Zeit herauszustellen.
Die „Spuren von 1968 in den bildenden Künsten“ vergegenwärtigt der Artikel von Konrad Lotter. Er berichtet von den skandalgeschwängerten Versuchen, neue Formen für gesellschaftskritische Inhalte zu finden, das geschlossene Werk in Aktionen zu überführen und die Kunst mit dem Leben zu verbinden.
Abgerundet wird die Behandlung des Themas durch die Besprechung einer Reihe von Neuerscheinungen, die sich mit „1968“ beschäftigen.
Die Rubrik „Münchner Philosophie“ erteilt Christian Kerbel das Wort, der 1968 das Studium der Philosophie aufgenommen hat. In seinen Erinnerungen wird anhand vieler bezeichnender, zum Teil auch kurioser Details die politisch aufgeheizte Atmosphäre lebendig, die an der Münchner Universität und dem philosophischen Fachbereich geherrscht haben.
Wie immer schließt das Heft mit den Rezension interessanter Neuerscheinungen sowie einem Tagungsbericht.
Die Redaktion