Heft 57: DemoKratie

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33. Jahrgang, 2013, 202 Seiten, broschiert

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Die repräsentative Demokratie steckt in der Krise.

Zunehmend ist es das globale Finanz- und Industriekapital, das den Parlamenten, die doch den Willen des Volkes repräsentieren sollten, die Politik diktiert. Nicht das Volk, sondern die Lobbyisten und Rating-Agenturen oder die „Troika“ aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds sind der Souverän und behalten das letzte Wort. Die Probleme der Politik und der Gestaltung des Gemeinwesens werden von den Problemen der Wirtschaft verdrängt. „Postdemokratie“ hat Colin Crouch dieses Zusammenspiel von internationalem Kapital und nationalen Regierungen genannt.

Große Teile der Bevölkerung verweigern sich der politischen Partizipation und gehen nicht mehr zur Wahl. Vor allem das Prekariat aus Minijobbern, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern, das Marx die „industrielle Reservearmee des Kapitals“ nannte, sieht sich von der Politik vernachlässigt. Aber auch die sogenannte „Mittelschicht“, der bisherige Träger der Demokratie, bröckelt und wird zwischen den Fronten der Armen und der Reichen zerrieben. Die oft gut ausgebildete und selbst die akademische Jugend findet keine Arbeit sowie Lebensperspektive und sieht sich von der Politik nicht repräsentiert. Sie protestiert gegen den Abbau des Sozialstaates, die Umverteilung des gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums von unten nach oben und die „Herrschaft der 0,1%“. In ihrem Milieu finden derzeit die lebendigen Debatten um demokratische Strukturen jenseits der Repräsentation statt.

Die Umfrage des Widerspruch zur „Zukunft der Demokratie“, an der sich zwölf Sozialwissenschaftler, Philosophen und Schriftsteller beteiligt haben, spiegelt den derzeitigen Diskussionsstand wider. So einig sich die Autoren in der Diagnose der Krise der repräsentativen Demokratie sind, so unterschiedlich fallen ihre Erklärungen aus. Sie reichen von der ethisch-politischen Kritik an der Anspruchsinflation, die zu den Schuldenbergen der Staaten geführt hat (Homann), oder am Mangel an wirklichen Eliten (Knoll) bis zur strukturellen Kritik am Neoliberalismus, der Verselbständigung des Lobbyismus (Crouch), der Erpressbarkeit der Staaten durch die Finanzmärkte (Brunkhorst), der wachsenden Kluft zwischen reich und arm (Butterwegge), dem Schwinden politischer Gestaltungsmacht (Nida-Rümelin) oder der Entkoppelung der kapitalistischen Prinzipien von demokratischen Entscheidungsprozessen (Salzborn).

Andere Autoren gehen weiter: Sie sehen die Ursache des Niedergangs in den nicht mehr zeitgemäßen Formen der Politik, die wirkliche Alternativen nicht zulässt (Flügel-Martinsen). Ihre Perspektive ist eine Demokratie jenseits des Repräsentationsprinzips und des Parlamentarismus: eine Demokratie mit einer neuen Verteilung der Entscheidungs- und Kontrollmacht (Meyer), mit dezentralen Entscheidungsprozessen (Raimondi), mit neuen Formen der Selbstverwaltung und globaler Einbindung (Demirović) oder einer Sozialisierung der gesellschaftlichen Produktion (Dath). Es handelt sich um Lösungen, die den Rahmen der repräsentativen Demokratie sprengen und direkte Formen politischer Gestaltungsmacht ins Spiel bringen.

Der Artikel von Csanad Bartos stellt drei relevante Demokratietheorien von Jürgen Habermas, Chantal Mouffe und Alain Badiou vor. Anschließend unterzieht er sie einer Kritik aus solidarisch-anarchistischer Position.

Peter Seyferth diskutiert die Befunde herrschaftsfreier Meinungs- und Willensbildungsprozesse. Alexander von Pechmann unterzieht die Begrifflichkeit von „repräsentativer Demokratie“ einer logisch-kritischen Analyse.

Der Schwerpunkt des Hefts wird durch einen umfangreichen Rezensionsteil zu Büchern zum Thema abgeschlossen.

Das Sonderthema befasst sich dieses Mal mit Fragen angewandter Ethik.

Anhand der Situation der Frauen in Indien schildert Michael Dusche das Handlungsdilemma zwischen der herrschenden hierarchischen Ethik und einer universellen egalitären Moral.

In der Rubrik „Münchner Philosophie“ gibt Thomas Oehl aus Anlass der Veröffentlichung des Kongressbandes einen ausführlichen Überblick über die Vorträge des XXII. Deutschen Kongresses für Philosophie zum Thema „Welt der Gründe“ an der LMU München im September 2011.

Wie immer schließt das Heft mit Besprechungen interessanter Neuerscheinungen ab.

Die Redaktion