Heft 66: Trans-Humanismus

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37. Jahrgang, 2018, 154 Seiten, broschiert

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Die Selbstoptimierung, die viele Menschen betreiben, um sich besser zu fühlen oder im Berufsleben (unter Konkurrenzverhältnissen) besser bestehen zu können, erstreckt sich auf vier Bereiche: 1) auf Gesundheit, körperliche Fitness und Leistungsfähigkeit; 2) auf Intelligenz, Gedächtnis und Kreativität; 3) auf psychische Stabilität, Durchhaltevermögen, Stressbewältigung, Zufriedenheit; 4) auf die körperliche Erscheinung, d.h. auf Schönheit. Die Art und Weise, wie diese Formen propagiert, organisiert und praktiziert werden, ist vielfältig und reicht von Fitness-Studios oder Wellness-Hotels, der Teilnahme an Yoga- oder Meditationskursen über die Einnahme medizinischer Präparate, die Einhaltung von Diät, die Verwendung kosmetischer Mittel bis zur Teilnahme an Psycho-, Coaching- oder Fortbildungsgruppen oder dem Einsatz digitaler Selbstvermessungen wie den Techniken des Lifelogging .

Durch den Einsatz neuer Verfahren der Gentechnologie, der Biochemie, der Informationstechnologie, der Robotik oder der Nanotechnologie gewinnt die Selbstoptimierung heute jedoch eine neue Qualität. Über körperliches Wohlbefinden oder Fitness hinaus steht nun die grundsätzliche Überwindung von Erkrankung, Ermüdung und Alterungsprozess auf dem Programm. Durch genetische Manipulationen sollen nützliche Fähigkeiten gezüchtet, durch Schaltstellen zwischen Gehirn und Computer die Intelligenz und das Gedächtnis perfektioniert, durch medizinische Implantate größere Belastbarkeit, intensivere Erlebnisfähigkeit und dauerhaftes Glück gewährleistet, durch die Synthese von Mensch und Maschine sogar  als Endziel  der Tod überwunden werden.

Dem Humanismus gilt traditionell der Mensch als das Maß aller Dinge, nicht der abstrakte Mensch, sondern der konkrete, selbstbestimmte Mensch. Mit ihm ist daher der Kampf gegen alle Institutionen verbunden, die dem Menschen ein fremdes Maß anlegen, die ihn also unter religiöse Dogmen, staatliche Willkür oder ökonomische Sachzwänge subsumieren. In Bezug auf die Technik jedoch erscheint das Problem für Humanisten besonders heikel. Denn wo verläuft die Grenze zwischen Techniken, die das selbstbestimmte Leben des Menschen unterstützen und fördern, und einer Technik, die sich dem Menschen gegenüber verselbständigt hat und die die Humanität auch noch im Dienst eines auf Profit ausgerichteten Wirtschaftssystems  beschädigt oder vernichtet?

Mit den neuen technischen Möglichkeiten ist die Diskussion um einen Post- oder Transhumanismus entstanden, der die traditionellen Bilder vom Menschen in Frage stellt. Lassen sich diese Konzeptionen als eine neue Stufe des Humanismus verstehen, in der im Sinne einer technischkulturellen Evolution die zweite Natur des Menschen eine sprunghafte Weiterentwicklung erfährt? Oder artikuliert sich in ihnen eine antihumanistische Richtung, die dem Menschen das Maß einer (womöglich sich selbst optimierenden) Maschine anlegt und daher im Namen des Humanismus bekämpft werden muss?

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Von der Fähigkeit und der Bereitschaft der Menschen ausgehend, sich selbst immer neue Lebensformen zu entwickeln, zieht Dieter Birnbacher eine scharfe Grenze zwischen selbst- und fremdbestimmten Formen der Selbstoptimierung. Im Unterschied zum Programm der Aufklärung, das eine intellektuelle und moralische Verbesserung durch Erziehung, Bildung und Humanisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse anstrebte, diskutiert er die verschiedenen Formen und Möglichkeiten des körperlichen Enhancements, die durch die rapiden Fortschritte der Gentechnik eröffnet werden: nicht nur in Bezug auf die Individuen, sondern auch auf die gesamte menschliche Gattung.

Sascha Dickel legt seinen Ausführungen die transhumanistische Vision einer Optimierung des Menschen durch seine Verschmelzung mit der Maschine zugrunde. Dabei erörtert er weniger die Frage, ob die posthumanen Wesen der Cyborgs und Uploads noch in der Lage sein werden, frei und selbstbestimmt zu handeln. Vielmehr begreift er den posthumanen Zukunftsdiskurs als das Symptom einer Gegenwart, in der die ontologische Differenz zwischen dem Menschen und den Maschinen zunehmend relativer wird.

Von einer Selbstoptimierung durch Selbsterkenntnis, also nicht durch Genetik oder die Verschmelzung von Mensch und Maschine, handelt der Beitrag von Konrad Lotter. Er kritisiert die Überzeugung mancher Transhumanisten, der zufolge technisch erzeugte Algorithmen die Menschen (aufgrund ihrer Aktivitäten im Netz) besser kennen als diese sich selbst und ihre Entscheidungen daher voraussagen oder manipulieren können. Aus dieser Überzeugung erwächst dann die weitere Überzeugung, dass diese Algorithmen sich als unfehlbare Ratgeber für alle Lebenslagen und damit als Garant eines gelingenden Lebens erweisen könnten.

Auch die beiden folgenden Artikel berichten von Selbstoptimierungen, die dem gegenwärtigen Transhumanismus kritisch gegenüber stehen. Vor aller Selbstoptimierung steht für den praktischen Humanismus Frieder Otto Wolfs die Frage, was es bedeutet, Mensch zu sein. Im Rückblick auf die Vorgeschichte des Transhumanismus ruft Wolf dessen enge Verbindung mit den Zielen der Emanzipation und der Befreiung in Erinnerung. Dagegen sieht er die Selbstoptimierung, wie sie gegenwärtig von einem neoliberal geprägten Transhumanismus propagiert wird, nur als Optimierung der bereits bestehenden Unterwerfung der menschlichen Individuen unter den Reproduktionsprozess der bestehenden Herrschaftsverhältnisse.

Dominik Novkovic und Alexander Akel erinnern an den revolutionären Humanismus der Marxschen Theorie, der nach dem Untergang des autoritären Parteimarxismus eine neue Aktualität gewonnen hat, und machen auf dessen bildungspolitische Implikationen aufmerksam. Dabei spielen sie nicht das humanistische Frühwerk gegen das wissenschaftliche Spätwerk aus, sondern betonen die dialektische Kontinuität des Marxschen Werks. Vor allem weisen sie darauf hin, dass Marx Intentionen nicht die Selbstoptimierung atomisierter Individuen, sondern auf die Humanisierung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse gerichtet sind.

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Im Sonderthema dieses Hefts befasst sich Konstanty Kuzma mit dem Problem der Widerstandsfähigkeit der liberalen Demokratie unter den Bedingungen des globalen Kapitalismus. Er behandelt die Frage, ob Kants Aufklärungsschrift oder Rawls Rechtsphilosophie geeignete Argumentationshilfen bieten können, um irrationalen Strömungen der Gegenwart wirkungsvoll entgegenzutreten.

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