Franz Kohout

Austeilende Ungerechtigkeit. Wie die Wohlhabenden sich am Steuerstaat bereichern

br., 172 Seiten, 24.- €

Potsdam 2023 (edition fatal)

von Bernd M. Malunat

Man muss es sich erst klar machen: Steuern bilden die Dreh- und Angelpunkte eines jeden Staates; Steuern sind seine hauptsächliche Einnahmequelle. Ohne diese Einnahmen ist er machtlos, unfähig, auch nur eine seiner vielfältigen Aufgaben wahrzunehmen. Das gilt seit altersher, und es gilt erst recht in der Gegenwart, da die Aufgaben des modernen Staates immens angewachsen sind. Die sogenannte „Ampel-Koalition“ scheiterte in der jüngeren Vergangenheit vor allem daran, dass sie sich nicht auf einen gemeinsamen Bundeshaushalt, also auf die Verwendung der Steuereinnahmen, verständigen konnte oder wollte.

Blickt man in die Geschichte zurück, zeigt sich, dass selbst die Grundlagen des modernen Parlamentarismus auf dem der Obrigkeit eingeräumten Recht beruhen, von den Untertanen Steuern verlangen zu dürfen. Sehr eindringlich zeigt sich das an der von den nordamerikanischen Kolonien Englands vorgetragenen Forderung: no taxation without representation – die letztlich in die Unabhängigkeit mündete.

Die Schrift des Politikwissenschaftlers Franz Kohout handelt vom Steuer-Staat, davon, wie durch Disruption Gleichheit, Gerechtigkeit und letztlich Demokratie gefährdet werden, weil der Grundsatz, dass alle nach ihren Möglichkeiten in gleicher Weise zum Gelingen beizutragen haben, verletzt wird. Nicht zuletzt aufgrund steuerpolitischer Entscheidungen wird die Kluft zwischen armen und reichen Bürgern immer größer. Es wächst jedoch nicht nur die Einkommens-Schere, sondern zugleich auch die Vermögens-Schere, und sie wachsen seit langer Zeit so stark, dass die Diskrepanz eines Tages unerträglich werden könnte. Dies ist übrigens keineswegs nur ein soziales Problem; vielmehr gestatten es die angehäuften, geradezu gigantischen Vermögen auch, unmittelbar Einfluss auf die Gestaltung der Politik in den Staaten zu nehmen, wie er in der jüngeren Vergangenheit bereits folgenreich praktiziert worden ist. Demokratien werden in autoritäre oligarchische Plutokratien transformiert.

Für diese in höchstem Maß unverträgliche Entwicklung gibt es eine Vielzahl steuerlicher Gründe. Zum einen gibt es in föderativ organisierten Staaten auf den verschiedenen Ebenen das Recht, Steuern zu erheben, zum anderen ist das Steuerrecht so umfangreich und kompliziert, dass der Steuer-Dschungel kaum noch zu durchdringen ist, und schließlich sind auch all die internationalen Möglichkeiten der Steuergestaltung sowohl in der EU als auch in der globalisierten Welt zu beachten. Aus ihnen resultieren die vielfältigen Vorteile insbesondere derjenigen, die es sich leisten können, die fest etablierten Steuerberatungs- und -vermeidungsindustrie in Dienst zu nehmen. Zudem gilt es, den geradezu monströsen Lobbyismus zu betrachten, der es vermag, die Gesetzgeber der verschiedenen Ebenen unter einen erheblichen politischen Druck zu setzen, der sich durch selektiv plazierte Parteispenden noch einmal beträchtlich verstärken lässt.

Wie die ‚austeilende Ungerechtigkeit‘ funktioniert, die der Titel treffend annonciert, zeigt der Autor an einer Reihe konkreter Beispiele. So wurde die Vermögenssteuer auf die geradezu unanständigen Riesenvermögen faktisch abgeschafft. Die Erbschaftssteuer ist zu einer Bagatellsteuer verkommen, die gerade mal die Hälfte der Tabaksteuer einbringt. Keine Erbschaftssteuer zahlen die Erben eines Unternehmens, wenn sie das Unternehmen nur sieben Jahre weiterführen. Gewerbetreibende können die Zahlung der Gewerbesteuer durch die Gründung von Schein- oder Briefkastenfirmen umgehen. Durch völlig legale Gewinnverlagerungen ins Ausland gehen dem Staat jährlich Milliarden Euro an Körperschaftssteuern verloren. Diese wenigen Beispiele zeigen, welche Möglichkeiten die Wohlhabenden genießen.

Im Gegensatz dazu hat der geringverdienende ‚normale‘ Bürger kaum steuersenkende Möglichkeiten. Ihm wird die Lohnsteuer vom Arbeitgeber direkt vom Gehalt abgezogen, und die Möglichkeit der Rückerstattung mittels der Steuererklärung wird häufig nicht genutzt. Die Gruppe dieser Steuerpflichtigen ist allerdings von großer Relevanz, weil die Verbrauchssteuern (v.a. Mehrwert- und Energiesteuern) rund 42 Prozent des Steueraufkommens ausmachen, da deren Einkommen überwiegend in den Konsum (und die Miete) fließt. Schon deshalb ist ihre relative Steuerbelastung deutlich höher als die der Wohlhabenden. Hinzu kommt, dass die Kapitalertragssteuer auf 25 Prozent begrenzt wurde, während die Einkommenssteuer progressiv auf bis zu 42 Prozent steigt.

Diese ‚Ungleichbehandlungen‘ liegen aber auch daran, dass die Finanzverwaltung unterbesetzt und deshalb chronisch überlastet ist. Vor allem mangelt es an Betriebsprüfern und Steuerfahndern, weshalb Unternehmen nicht regelmäßig überprüft werden können. So etwa wurden die obszönen Cum-Ex-Transaktionen, die den Staat nicht nur sehr viel Geld, sondern auch sehr viel Vertrauen kosteten, jahrelang nicht erkannt. Sollte es für einen allzu findigen Steuerbürger aber doch einmal eng werden, erlangt er nach gelungener Selbstanzeige Straffreiheit.

Dem Autor geht es jedoch nicht nur darum, die sozialen Ungerechtigkeiten des Steuersystems aufzuzeigen, vielmehr unterbreitet er auch Vorschläge, wie eine gerechtere Besteuerung gestaltet werden könnte und sollte. Dazu gehöre in erster Linie eine einfachere und klarere Gesetzgebung. Ferner seien eine gerechtere Gestaltung der Freibeträge, die Besteuerung der Einkommen, die aus leistungslos erworbenen Vermögen fließen, sowie eine internationale Steuerharmonisierung, einschließlich einer Finanztransaktionssteuer, sowie vor allem eine drängend notwendige ökologische Steuerreform (etwa durch Streichung umweltschädlicher Subventionen) erforderlich. Diese Maßnahmen würden nicht nur zu mehr – intergenerativer – Gerechtigkeit führen; sie könnten dem Staat auch deutlich höhere Steuereinnahmen bescheren.

Für die Erreichung dieser Ziele setzen sich seit geraumer Zeit einige sehr engagierte zivile Bewegungen ein, deren Erfolge aber begrenzt bleiben müssen, solange die Brisanz der Steuergerechtigkeit für den überwiegenden Teil der Bevölkerung von den staatlichen Akteuren nicht ernst genommen werden. Doch haben einige Parteien wenigstens in Zeiten des Wahlkampfs die Frage der Steuergerechtigkeit zumindest programmatisch erkannt – bleibt zu hoffen, dass sie sich daran erinnern, sollten sie nicht zuletzt dieser Versprechen wegen in die Verantwortung gelangt sein!

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