Niklas Angebauer/Tilo Wesche

Theorien des Eigentums. Zur Einführung

br., 304 Seiten, 17,90 €

Hamburg 2024 (Junius-Verlag)

von Alexander von Pechmann

Nach Jahrzehnten des Stillschweigens ist seit einiger Zeit in den Sozialwissenschaften, aber auch in der Ethik die Debatte um das Eigentum intensiver geworden. Die Wohnungsnot in den Städten, die zunehmende Ungleichverteilung des globalen Reichtums sowie die vielfältigen ökologischen Krisen werden vermehrt in einen Zusammenhang mit der Eigentumsfrage und der damit verbundenen Verfügungsmacht über den gesellschaftlichen Reichtum gestellt.

Ausdruck dieses wiedererweckten Interesses ist die Einführung in die „Theorien des Eigentums“ der Oldenburger Philosophen Niklas Angebauer und Tilo Wesche, die auch an dem universitätsübergreifenden DFG-Forschungsprojekt über den „Strukturwandel des Eigentums“ beteiligt sind. Sie haben ihr Buch in insgesamt sechs „Positionen“ gegliedert, die die historisch wie systematisch wesentlichen Theorien über das Eigentum abdecken. Sie reichen – innerhalb der europäischen Denktradition – von Aristoteles bis zu John Rawls; und die einzelnen Kapitel sind nach den Prinzipien geordnet, die das Eigentum als Rechtsinstitut in der jeweiligen Theorie begründen.

Unter der Idee der „Gemeinschaft und des Gemeinwohls“ fassen die Autoren im ersten Kapitel die Eigentumstheorien des Aristoteles, der christlichen – m.E. eher katholischen – Soziallehre sowie des Kommunitarismus zusammen. Und in der Tat diskutieren diese Theorien – trotz unterschiedlicher Begründungen – die Fragen nach der Rolle und der Funktion des Eigentums in einem umfassenderen gesellschaftlichen Kontext, in dessen Rahmen die je private Verfügung über die Dinge und Güter eingeordnet und -gebettet sein soll. Für Aristoteles war dieser Rahmen die Polis, für das Christentum die religiöse und für den Kommunitarismus die säkulare Gemeinschaft. Was mir allerdings bei dieser Vor- und Darstellungsweise als unterbelichtet erscheint, ist, dass Aristoteles – gegenüber Platon – große Schwierigkeiten hatte, das individuelle Recht auf private Verfügung über die Dinge, damals vor allem über den Boden, mit der Verantwortung und der Verpflichtung des Bürgers gegenüber der Polis zu vermitteln. Aristoteles weiß zwar, dass das Eigeninteresse der (sklavenhaltenden) Grundbesitzer dem Gemeinwohlinteresse der Polis durchaus entgegensteht. Aber er hoffte angesichts dessen – letztlich vergeblich – auf die Erziehung jenes griechischen ‚maßvollen Tugendbürgers’, der beides, sein privates und das öffentliche Wohl, in seiner Seele zu verbinden vermag.

Auch die Darstellung der „christlichen Soziallehre“ erscheint mir allzu glatt. Nicht erwähnt wird die ‚Feindschaft’ des Christentums gegen das „Habenwollen“ als Reich des Bösen über nahezu ein Jahrtausend („eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr als ein Reicher ins Himmelreich“), die im kirchlichen „Armutsstreit“ mündete und erst durch Thomas von Aquins Rezeption des ‚Heiden’ Aristoteles ermäßigt wurde. Thomas sah das private Eigentum, nach dem „Sündenfall“, unter gewissen Umständen und unter Beachtung ethischer Regeln als gerechtfertigt an. Und noch bis heute schwelt in der katholischen Soziallehre der Streit um die Legitimität des Privateigentums, wie er nicht zuletzt jüngst von Papst Franziskus wieder befeuert wurde („Diese Wirtschaft tötet.“). Meines Erachtens hätte die Darstellung dieser Begründungsaporien und Kontroversen zwischen Privateigentum und Seelenheil dem Leser die christliche Soziallehre durchaus nähergebracht.

Höchst informativ hingegen ist das Kapitel über die „Arbeitstheorie“, die John Locke und den Libertarismus umfasst. Die Autoren zeigen, dass Lockes Theorie, das Privateigentum auf die Arbeit zu gründen, durchaus komplexer und voraussetzungsreicher ist, als sie üblicherweise verstanden wird. Überzeugend jedenfalls ist die Deutung, dass Locke sowohl die Arbeit als auch den Genuss ihrer Früchte als eine ethisch-religiöse Veranstaltung verstanden hatte, um das Gute und Gerechte in der Welt zu mehren. Sie macht damit nicht nur die ethischen Regeln deutlich, denen der Eigentumserwerb bei Locke unterliegt, sondern auch den kulturellen Hintergrund seiner Eigentumstheorie, der es den „heidnischen Wilden“ schlicht absprach, überhaupt Eigentümer ihres Grund und Bodens sein zu können. Diese ethischen Gemeinwohlziele und -schranken sind jedoch bei den heute wieder populär gewordenen Libertaristen gefallen. Für sie bedeutet Eigentum das Recht, alles zu tun, was die Rechte anderer nicht verletzt. Eingriffe des Staates zugunsten des Gemeinwohls etwa durch Steuern sind daher schlicht Diebstahl. Mit Recht konstatieren die Autoren, dass die gegenwärtige Eigentumstheorie solch reflexionslosen Behauptungen nur „mit großer Skepsis“ (68) begegnet.

Ähnliche Vorbehalte durchzieht auch die Darstellung der utilitaristischen Theorien, die gleichfalls simpel, aber wirkungsvoll das Recht aufs Privateigentum mit dem „Wohlstand“ verbinden. Sie greifen dabei auf Aristoteles’ umstrittenes Argument zurück, dass eine Ordnung des Privateigentums effektiver als eine des Gemeineigentums sei. Und da nach Jeremy Bentham Maß und Ziel alles menschlichen Strebens der Nutzen oder die Wohlstandsmehrung sei, sei das Recht auf Privateigentum das beste Mittel, diesen Wohlstand zu befördern. Diesem Kurzschluss halten die Autoren die Einsichten der „Neuen Institutionenökonomik“ entgegen, die hinsichtlich der unterschiedlichen Güter durchaus differenzierter argumentiert und die Effizienz von privaten, gemeinschaftlichen und öffentlichen Eigentumsformen untersucht und diskutiert.

Originell und zugleich gründlich ist die Darstellung der Theorie von Hegel unter dem Titel „Eigentum als Widerspruch“. Sie zeigt, wie sehr für Hegel die Eigentumsfrage in seine Gesamtphilosophie eingebettet ist, in der das Vernünftige wirklich, das Wirkliche aber – letztlich – auch vernünftig ist. Ausgangspunkt seiner Eigentumstheorie ist die „Idee der Freiheit“. Freiheit, das Prinzip des Geistigen, aber ist für ihn nicht nur ein Inneres, sondern hat notwendig auch eine äußere Sphäre ihres Daseins. Eigentum ist insofern die Verfügungsmacht der (freien) Person über Äußeres. Doch diese „Person“ ist für Hegel nichts Fertiges, sondern schreitet durch ihre inneren Widersprüche vom abstrakten Ich zum konkreteren Wir fort. In diesem Sinne beginnt Hegel mit der einfachen und abstrakten Form des Rechts als Privateigentum, als des exklusiven Rechts des Individuums, von seiner Sache einen freien Gebrauch zu machen. Jedoch weist der innere Gegensatz dieses Rechts von privater Inklusion und sozialer Exklusion über diese Eigentumsform hinaus. Im Familieneigentum als höherer Form des Sittlichen sieht Hegel diesen Gegensatz aufgehoben: an die Stelle des abstrakten Individuums tritt das Kollektiv der Familie als Rechtsperson und Eigentümer. Doch auch diese partikulare Form löst sich schließlich auf in der höheren Form eines gesellschaftlichen Eigentums. Für Hegel ist also letztlich die ‚bürgerliche Gesellschaft’ erst die wahrhaft freie Rechtsperson, die, gleichsam als ‚Obereigentümer’, durch die staatliche Gesetzgebung sowohl den Inhalt als auch die Grenzen des privaten Eigentums und des Erbrechts – möglichst widerspruchfrei – regelt.

Diese logisch-systematische Entwicklung des Eigentums als „Idee der Freiheit“ verbindet Hegel zugleich mit der historischen Genese, nach der zunächst Einer, der Despot, freier Eigentümer war, dann Einige, die Adligen, frei waren und schließlich wir alle, als Bürger, frei geworden sind. Die Freiheit der Person, so Hegel, habe vor anderthalbtausend Jahren „durch das Christentum zu erblühen angefangen … Die Freiheit des Eigentums aber ist seit gestern … Ein Beispiel aus der Weltgeschichte über die Länge der Zeit, die der Geist braucht, um in seinem Selbstbewusstsein fortzuschreiten – gegen die Ungeduld des Meinens“ (129).

Bekanntermaßen hat sich auch Karl Marx gegen jene „Ungeduld des Meinens“ gewandt, die als „utopische Sozialisten“ das bestehende Privateigentum kritisierten, um die „wahre“ oder „menschliche“ Eigentumsordnung zu ersinnen. Doch von diesem Vorbehalt ist in der Darstellung von Marx’ „Kritik des Eigentums“ nichts zu spüren. Er wird recht umstandslos eingereiht in eine ethisch motivierte Kritik des Privateigentums, die zugleich Konzepte eines „wahren Sozialismus“ entwarf. Und in der Tat gibt der junge Marx mit seiner Kritik der Entfremdung und Ausbeutung genügend Stoff für eine solche Lesart. Doch für den Verfasser des „Kapitals“ trifft sie nicht mehr zu. Man sollte es meines Erachtens ernst nehmen, wenn Marx dort die „Ausbeutung“ durchaus nicht moralisch bewertet, sondern sie analytisch erklärt. Die zentrale Einsicht für diese Erklärung – um die er lange gerungen hatte – war, dass dem Arbeiter nicht – ungerechter Weise – der Lohn für seine Arbeit vorenthalten wird, sondern dass er – gerechter Weise – für den Wert seiner Arbeitskraft bezahlt wird. Daher gehe auf dem Arbeitsmarkt alles mit rechten Dingen zu: Der Arbeiter erhält den Lohn für die Erhaltung seiner Arbeitskraft – der Kapitalist erwirbt den Gebrauch seiner Arbeitskraft. Dass der Wert, den ihr tatsächlicher Gebrauch dann schafft, größer ist als ihr eigener Wert, „ist ein besondres Glück für ihren Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer“ (208) … die Gesetze des Warentauschs (sind) in keiner Weise verletzt. Äquivalent wurde gegen Äquivalent ausgetauscht“ (209).

Die Aneignung der Mehrarbeit oder des Mehrwerts durch den Kapitalisten ist für Marx also „durchaus kein Unrecht“. Ja, er begreift diese kapitalistische Eigentumsform geschichtlich als progressives Element zur Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivkräfte, die jedoch ihre immanenten Gegensätze und Widersprüche hervorbringt, die erst im Rahmen einer geschichtlich ‚höheren Gesellschaftsformation’ gelöst werden können. Wie sich eine solche Gesellschaftsformation freilich in concreto organisieren wird, das könne nicht, so betonte Marx immer wieder, sein eigenes (theoretisches) Werk, sondern müsse das (praktische) Werk der Arbeiterklasse selbst sein, das er bestenfalls, zeit seines Lebens, beratend begleiten könne.

Wenn die Autoren daher die Auffassung vertreten, Marx’ „emanzipatorische Bedeutung des Eigentums“ bestehe darin, dass der Mehrweit „zu Unrecht angeeignet (wird), weil er das Eigentum des Arbeiters ist, der ihn produziert“ (154), dann wird der historische Materialist Marx flugs in einen naturrechtlichen Lockeaner, vielleicht auch Smithianer, umgedeutet. Die geschichtsphilosophische Pointe seiner Eigentums- und Kapitaltheorie wird damit jedoch verfehlt.

Überraschend, aber durchaus nachvollziehbar ist im Folgenden die Einordnung der Theorien von Hobbes, Kant und Rawls unter dem Begriff der „Demokratisierung des Eigentums“, da doch der Hobbes’sche „Leviathan“ auf den ersten Blick nichts mit Demokratie zu tun hat. Doch die Autoren arbeiten heraus, dass für Hobbes das Recht auf privates Eigentum kein natürliches Recht ist, sondern dass es auf einem ursprünglichen Gesellschaftsvertrag gründet, in dem die Menschen ihr natürliches, aber bedrohtes Recht auf alles zugunsten des Schutzes ihres privaten Eigentums durch den starken Staat aufgeben. Es ist damit zwar der Staat, der souverän über „Gestalt, Grenzen und Schranken der Eigentumsrechte“ (180) bestimmt, aber er muss zugleich den Schutz dieser Rechte garantieren. Die Autoren nennen Hobbes einen „Wegbereiter der Demokratie wider Willen“ (182), weil für ihn jeder Bürger das Recht auf Eigentum und dessen Schutz hat. Ähnlich argumentiert Immanuel Kant insofern, als für ihn das Recht auf „das Meine“ zwar der reinen Vernunft entspringt, dass aber seine Geltung auf dem „vereinigten Willen des Volkes“ (195) gegründet ist. Denn weil „das Meine“ zugleich den Zugang anderer ausschließt, kann diese Ausschließung nur gerechtfertigt sein, wenn ihr alle zustimmen. Dies aber bedeutet, so die Autoren, dass für Kant das Recht auf privates Eigentum seine Legitimität nur dann besitzt, wenn alle – im Unterschied zu Hobbes – demokratisch an der Gesetzgebung teilhaben können. So gesehen macht Kant also die Legitimität der Eigentumsrechte von der demokratischen Verfassung des Staates abhängig. Über diese Argumentation hinaus geht John Rawls, der diesen vertragschließenden und gesetzgebenden Willen seinerseits an Prinzipien der Gerechtigkeit bindet. Für ihn ist eine Eigentumsordnung nur dann gerechtfertigt, wenn sie diese Prinzipien nicht verletzt bzw. ihnen entspricht. Dies gilt nach Rawls zum einen für eine privatwirtschaftliche Eigentumsordnung, insofern sie mit einer effektiven staatlichen Sozialgesetzgebung verbunden ist, und zum anderen für eine gemeinwirtschaftliche Eigentumsordnung, die zugleich mit demokratischer Mitbestimmung verbunden ist. Rawls, entgegnen die Autoren, mache so den Eindruck, als wären in gerechtigkeitstheoretischer Hinsicht eine ‚soziale Marktwirtschaft’ und ein ‚demokratischer Sozialismus’ „gleichwertig“ (211). Argumentiere man jedoch „werttheoretisch“, wonach das Eigentum durch die eigene Leistung gerechtfertigt ist, müsse hinsichtlich der gesellschaftlichen Produktion das Gemeineigentum den Vorrang vor dem Privateigentum haben. „Rawls’ Einsicht, dass es keine politische Demokratie ohne Demokratisierung der Wirtschaft gibt“ (212), weise über sich hinaus: „Die Demokratisierung des Eigentums findet seine Fortsetzung im demokratischen Sozialismus, in dem das Wirtschaftseigentum in Gestalt von Gemeineigentum demokratisiert wird“ (ebd.).

In diesem Kapitel zeichnen die Autoren so ein historisch-systematisches Bild von der „Demokratisierung des Eigentums“, das mit Hobbes’ Modell der Garantie des Privateigentums durch den absolutistischen Staat beginnt, das mit Kants republikanischem Modell einer allgemeinen Zustimmung der Eigentumsrechte und mit den Rawls’schen Modellen der beiden sozialen Eigentumsordnungen weitergeführt wird, um schließlich im Modell eines demokratisch organisierten gemeinschaftlichen Eigentums zu münden.

Abschließend werden als „Ausblicke“ noch die weiterreichenden Fragen erörtert, wem die Daten gehören, wem die Stadt und wem die Natur gehört. Dabei machen die Autoren keinen Hehl, dass für sie letztlich Formen des kollektiven Eigentums die angemessenen Rechtsverhältnisse sind, unter denen die Probleme der Digitalisierung, des städtischen Lebens und des Naturschutzes als lösbar erscheinen.

Trotz der formulierten Einwände gibt das Buch durch seine klare Strukturierung einen ausgezeichneten Überblick über die historisch unterschiedlichen Begründungen des Eigentums in ihrer jeweiligen Zeit sowie eine gehaltvolle Einführung in die auch heute relevanten Theoriegebäude über das, was jeweils als Eigentum verstanden wird, und wie es begründet und gerechtfertigt werden kann. Es ist ihm zu wünschen, dass es dazu beiträgt, das Pro und Contra in den gegenwärtigen Debatte ums Eigentum begründeter und argumentativer führen zu können.

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