Rochedy – Nietzsche

Julien Rochedy: Nietzsche – der Zeitgemässe. Einführung in die Philosophie Nietzsches

br., 176 S., 18,– € (Jungeuropa Verlag, Dresden 2022)

von Paul Stephan

Der junge französische Autor Julien Rochedy, geb. 1988, gilt als einer der wichtigsten Nachwuchsintellektuellen der radikalen Rechten. Er kommt allerdings aus der politischen Praxis. Schon 2006 trat er dem Front National bei, war von 2012 bis 2014 der Vorsitzende der Jugendorganisation der Partei und beriet 2012 Marine Le Pen bei ihrem Präsidentschaftswahlkampf. 2014 trat er allerdings aus der Partei aus, da er mit ihrem ‚Entgiftungskurs‘ nicht einverstanden war. Seitdem nimmt er extremere Positionen ein und unterstützte bei der letzten Präsidentschaftswahl in der ersten Runde Éric Zemmour.

Rochedy hat seither seine Aktivitäten auf die sozialen Medien und das Schreiben von Büchern verlagert, von denen das vorliegende das einzige ist, das bislang auf Deutsch vorliegt. Das Original erschien 2020. Die Lektüre dieses Buches verspricht einen erstklassigen Einblick in die Denkweise der jungen radikalen Rechte – und vor allem, wie sie Nietzsche in ihrem Sinne interpretiert. 2019 veröffentlichte Rochedy einen dreistündigen Vortrag zu Nietzsche auf Youtube, der 1,5 Millionen Zuschauer erreichte. Seine Gedanken entfalten also eine große Resonanz und dürften das Welt- und Nietzschebild zahlreicher junger Franzosen prägen.

Der schmale, 176 Seiten umfassende Band zielt sichtlich auf Breitenwirkung. Das Cover ziert ein poppiger Nietzsche im Hawaii-Hemd, der mit der Pistole zielt. Er trägt eine Sonnenbrille, in der sich ein gelber, runenartiger Blitz spiegelt – eine deutliche Anspielung auf die Symbolik der Identitären Bewegung und rechtsradikalen Szene allgemein.

Die Stoßrichtung des Buches wird schon zu Beginn deutlich, wenn der Historiker der Neuen Rechten, David Engels, im Vorwort von der „zunehmend um sich greifenden Cancel Culture und der immer deutlicher werdenden medialen und politischen Zensur“ (9) spricht. Der Übersetzer Philipp Bender schreibt in seinem Vorwort dann von Nietzsche als „Querdenker im edelsten Sinne des Wortes und als Anti-Mainstream-Rebell“ (13). Es geht also darum, die Moralkritik Nietzsches als intellektuelle Waffe im Kampf gegen den ‚linken Mainstream‘ in Anschlag zu bringen und dem rechten Projekt dadurch eine gewisse ‚Coolness‘ zu verleihen.

Dementsprechend handelt es sich auch um eine leichte Lektüre. Rochedy vermag es, seine Gedanken sehr eingängig runterzubrechen und dem Leser keine allzu großen Stolpersteine in den Weg zu legen. Dies geht allerdings auf Kosten der Wissenschaftlichkeit. Im Buch wird auf Zitate weitgehend verzichtet, und zahlreiche der, bisweilen steilen, Thesen Rochedys bleiben ohne nachprüfbaren Beleg. In einigen Fällen unterlaufen ihm auch grobe sachliche Fehler.

Eingangs berichtet Rochedy, wie er mit 14 Jahren zufällig auf Nietzsches Zur Genealogie der Moral gestoßen sei, das für ihn eine Art ‚Erweckungserlebnis‘ gewesen, und er fortan, trotz aller Kritik im Detail, „immer wieder zu meinem Meister zurückgekehrt“ (19) sei. Seine Grundperspektive wird bereits hier mehr als deutlich: Wir befinden uns im Zeitalter eines gewaltigen Kulturverfalls, angeheizt von den herrschenden ‚linksliberalen‘, postmodernistischen Eliten und einem grassierenden seichten Hedonismus. Allerorten seien „Nihilismus“ (16) und „Dekadenz“ (ebd.) zu beobachten, der „Triumph des letzten Menschen“ (ebd.), von dem Nietzsche in Also sprach Zarathustra sprach. Es drohe nicht nur der Untergang des ‚Abendlandes‘, sondern der Menschheit insgesamt – und Nietzsches Schriften lasse sich nicht nur eine Diagnose dieses apokalyptischen Szenarios, sondern auch ein Ausweg entnehmen.

Es folgt ein kurzer Abriss Nietzsches früher Jahre bis zur Fröhlichen Wissenschaft (22-49). Dass dieser Teil des Buches so knapp ausfällt, zeigt schon, dass Nietzsches stark aufklärerisch geprägte Frühschriften Rochedy nur am Rande interessieren. Und gerade hier findet sich auf nahezu jeder Seite eine Falschbehauptung. So teilt Rochedy unhinterfragt den von der Forschung längst widerlegten Mythos, Nietzsches Familienname sei polnischer Abkunft (vgl. 22 f.); er unterstellt Hegel die Ansicht, in der antiken griechischen Sittlichkeit habe sich der „wahre Geist“ (27) offenbart, nicht erst im Christentum und im modernen Staat; er erklärt Danaë und nicht deren Mutter Leontion zur Geliebten Epikurs (vgl. 32) und behauptet, Wagner habe sich erst nach 1872 zum „Nationalisten, Antisemiten und christlichen Reaktionär“ (35) gewandelt. Auch die Einschätzung, die deutsche akademische Philosophie sei noch in den 1870er Jahren von Hegel und nicht etwa vom Neukantianismus dominiert gewesen (vgl. 38), zeugt von wenig historischer Gründlichkeit, und nichts spricht dafür, Nietzsches Widmung des ersten Bands von Menschliches, Allzumenschliches an Voltaire sei ironisch gemeint gewesen (vgl. ebd.). Falsch ist auch, den aus Theben stammenden Dichter Pindar als „athenisch“ (39) zu bezeichnen.

Die folgenden Kapitel des Buches sind jedoch stärker und detaillierter. Rochedys Hauptbezüge bilden hier die Schriften ab Also sprach Zarathustra. Er geht in seiner Darstellung von dem berühmten 125. Aphorismus der Fröhlichen Wissenschaft aus, in dem Nietzsche, vermeintlich, den ‚Tod Gottes‘ ausruft. Nicht zu Unrecht weist Rochedy darauf hin, dass es in diesem Text jedoch der „tolle Mensch“ ist, der von jenem Ereignis spricht, und es deshalb voreilig wäre, Nietzsche selbst diese Aussage zu unterstellen oder darin gar eine einseitige Affirmation jenes ‚Todes‘ zu erblicken. Es handelt sich für Rochedy vor allem um eine Diagnose, die „[d]as 20. Jahrhundert, mit seinen Weltkriegen, dem Kommunismus, dem Nationalsozialismus und der destruktiven Postmoderne“ (52) bestätigt habe. Man erkennt hier also die Frontstellung des Buches: Rochedy möchte eine Alternative zum Kommunismus bzw. zur linken Ideologie allgemein aufzeigen, aber auch zur Postmoderne, ohne darum eine faschistische Position zu vertreten. Dies jedenfalls ist sein Anspruch.

Nach einer kurzen Darlegung der „ewigen Wiederkunft“ und des „Übermenschen“ als Grundideen des Zarathustra geht Rochedy nun auf Nietzsches „fruchtbarste, schaffensfreudigste Epoche“ (62) ein, in der er „seine wesentlichen Werke“ (ebd.) verfasst habe. Dazu zählt ihm zufolge vor allem Nietzsches „Hauptwerk“ (65) Der Wille zur Macht. Zwar erwähnt er, dass dieses „Hauptwerk“ eine nachträgliche Kompilation seiner Schwester auf Basis seiner Aufzeichnungen war, doch rückt er die Sache insofern in ein irreführendes Licht, als er es als „unvollendet“ (65) bezeichnet. Tatsächlich jedoch brach Nietzsche die Arbeit an diesem Buch bewusst ab. Dies aber sollte den Status eines „Hauptwerks“, „in welchem Nietzsches Metaphysik“, wie Rochedy meint, „deutlicher zum Ausdruck kommt und sich schlüssiger offenbart“ (ebd.), in Zweifel ziehen – ganz abgesehen von der aus philologischer Sicht unhaltbaren und verfälschenden Editionspraxis seiner Schwester.

Dennoch steht jene „Metaphysik des Willens zur Macht“ (68) ganz im Zentrum von Rochedys Nietzsche-Deutung. Er umreißt sie wie folgt: „Das Universum ist eine Ganzheit, in dem …]nichts neu erschaffen und nichts zerstört wird. Sondern alles wird durch ein Spiel von Kraft und Macht zwischen jenen transformiert, denen es gelingt, eine feste Einheit zu bilden, wie etwa ein Baum, ein Bakterium, ein Stern oder ein Sandkorn, aber auch ein Mensch oder eine menschliche Zivilisation“ (69 f.). Dies formuliert Rochedys ethischen und theoretischen Leitgedanken: Man solle den so verstandenen „Willen zur Macht“ als Grundprinzip allen Seins anerkennen und bewusst ausleben, das heißt, alles zu versuchen, eine solche „feste Einheit“ herzustellen.

Das entscheidende Problem der Moderne erblickt er dementsprechend im „Verschwinden“ (73) dieses Willens im Zuge der Dominanz von Intellektualismus und Moralismus, in dessen „Degeneration und Perversion“ (74). Um diesen Vorgang genauer zu analysieren, folgt eine vertiefende Betrachtung der Genealogie mit ihrer Unterscheidung von auf Selbstbejahung beruhender „Herren-“ und auf Verneinung bzw. „Ressentiment“ gründender „Sklavenmoral“. Diese übernimmt Rochedy vollkommen unkritisch; er spricht sogar von einer hier entwickelten „Methode …, die im Grunde auf alle zeitgenössischen Prozesse anwendbar ist“ (97): „Allgegenwärtige Phänomene wie Antirassismus, Feminismus, Progressivismus und Sozialismus erscheinen in einem neuen Licht“ (ebd.). Diese vermeintlich wohltätigen und moralisch hochstehenden Bewegungen würden durch Nietzsches Brille kenntlich als Auswüchse eines pervertierten Willens zur Macht: „Die Sklavenmoral ist ausschließlich darauf gerichtet, die Starken, Aristokraten und wahrhaft Glücklichen zu eliminieren. Vertreter, die diese Moral in Stellung bringen, um gänzlich irdische, profan-politische Ziele zu verfolgen, schaffen nicht die Dominanz von Menschen über Menschen ab, sondern ersetzen nur die augenblicklich Dominanten“ (100).

Doch auch Rochedy will an der grundsätzlichen Existenz von Herrschaftsverhältnissen nichts ändern, sondern wirft den westlichen Eliten vor, im Bann der Sklavenmoral „im (Selbst-)Hass und Masochismus“ (ebd.) zu versinken und es damit zuzulassen, „dass eine Masse von inferioren Gestalten, die von den aristokratischen Vorfahren noch sofort und rücksichtslos ausgeschaltet worden wäre, die Möglichkeit zur Machtergreifung erhält“ (ebd.).

Eine gewisse Grausamkeit und Unterdrückung sei eben eine zentrale Bedingung für eine hohe Kultur. Daher sei eine auf Friedlichkeit und Gleichheit ausgerichtete Zivilisation dem Untergang geweiht, unterminiere ihre eigene Existenzgrundlage, entfremde sich im Namen eines einseitigen Rationalismus von allen „lebendige[n] Wirklichkeiten“ (117). Vor diesem Hintergrund ist Rochedy insbesondere die Europäische Union ein Dorn im Auge. Sie verweigere es, „sich anhand von konkreten und reellen Elementen zu definieren und zu identifizieren“ (115 f.).

Allerdings distanziert sich Rochedy ebenso vom traditionellen Nationalismus. Er entnimmt Nietzsches Schriften einen „wohlverstandenen Europäismus“ (126) und spricht von der „absolute(n) Notwendigkeit“ (127) zur europäischen „Einheit angesichts anderer entstehender Mastodonten wie den USA oder Russland“ (ebd.). Diese Einheit sei das eigentliche Gegenprojekt zum „Nihilismus“: „Die vereinte europäisch-abendländische Zivilisation muss die politische und menschliche Reaktion gegen Barbarei und Nihilismus sein“ (131). Aus diesem Grund sei auch der Nietzscheanismus Mussolinis und Hitlers zu verwerfen, da es ihnen misslungen sei, „ihre Politik … auf eine bewusst abendländisch-europäische Ebene (zu) heben“ (ebd.). Er bezieht sich stattdessen auf Ernst Jünger: Dieser sei „ein europäischer Aristokrat, ein wahrer Übermensch“ (ebd.) gewesen, der „für eine europäische Einigung im Namen der großen europäischen Kultur“ (132) plädiert habe.

Es sei jedoch möglich, wie nicht zuletzt Nietzsche selbst zeige, dem Nihilismus auch auf individueller Ebene zu entgehen: „Diese Dekadenz ist nicht unentrinnbar. Es ist uns möglich, gegen sie zu revoltieren, indem man sein eigenes Sein und Dasein in einer bestimmten Transformation umwandelt sowie eine (erneute) Umwertung aller Werte vollendet. Man beginnt, außergewöhnliche und höhergeartete Menschen um sich zu scharen und sich gegenseitig wertzuschätzen und zu unterstützen. So schließlich … entdecken wir den Übermenschen in uns“ (139).

Dabei geht es Rochedy jedoch dezidiert nicht um ein Programm universeller Selbstverwirklichung, sondern, im Anschluss an den italienischen Philosophen Julius Evola, um einen „radikalen Aristokratismus“ (143). Nur ‚starke‘ Menschen sollen und dürfen sich um eine solche heroische Lebenshaltung bemühen: „Der Zweck der Menschheit besteht … darin, überlegene Individuen – wenn nötig, sogar überlegene Völker – zu erzeugen“ (144). Er zitiert dafür zustimmend die gemeinhin umstrittensten Nietzsche-Passagen, in denen der „Meister“ von der Notwendigkeit neuer Sklavereien oder eines erneuerten Kastenwesens spricht: „Man muss eine Klasse oben festlegen, die für die Ausdünstungen des Vulgären von unten undurchlässig ist. Andernfalls wird sie unweigerlich untergehen“ (146). Gerade Demokratie und Sozialismus, so Rochedy im Anschluss an Nietzsche, ermöglichten durch ihre Erzeugung einer „große[n] plebejische[n] Masse“ (ebd.) die Entstehung einer neuen Aristokratie, nach der diese geschwächten ‚Bienenmenschen‘ instinktiv verlangen.

Ganz im Sinne des ‚umgedrehten Rousseauismus‘ des späten Nietzsche ruft auch Rochedy zur Rückkehr „zum Körper und Körperlichen“ (156) auf, die er immerhin auch mit einer Kritik der Umweltzerstörung verknüpft. Doch vor allem bedeutet dies die Entfesselung des inneren ‚Raubtiers‘: „Das Leben als Krieg annehmen, heißt, den Frieden mit dem Leben zu machen“ (159). Nur so lebe man im Einklang mit dem „Sein“ (163, Rochedy zitiert hier Heidegger): „Teilnehmen am Leben bedeutet in letzter Konsequenz, ihm gehorsam zu sein, indem man als Mensch seine gesamte vitale Kraft entfaltet. Im Einklang mit dem Existierenden zu existieren, das ist der Wille zur Macht“ (ebd.). Im Geiste dieser Ideen gelte es vor allem, den ‚inneren Nihilisten‘ zu überwinden im Sinne eines Ideals, das Rochedy vor allem in den französischen Moralisten des 17. Jahrhunderts wie Fontenelle oder Rochefoucauld realisiert sieht: „Sie stellten den mustergültigen Typus eines elitären Menschen dar, der einst den Edelmann Frankreichs treffend charakterisierte. Dieser Typ – ihn haben die Heutigen allzu leicht vergessen – ist das Ideal des absolut Männlichen und der Universalbildung, die im Gegensatz zur modernen Spezialisierung steht. Der Edelmann ist vornehm, aber gleichzeitig auch ein Krieger. Er ist ebenso kultiviert wie lebenskräftig und tapfer; Philosoph und Christ, also von starker Spiritualität. Kurzum, dieses Ideal umschreibt den ‚kompletten‘, perfekten Mann, wie er uns in der Geistesgeschichte Europas oft entgegentritt“ (77).

Wer nur ein wenig mit den Klassikern der rechten Nietzsche-Rezeption vertraut ist, erkennt schnell, dass Rochedy nur deren ‚Einsichten‘ in popularisierter und aktualisierter Form wiederkäut. So rekurriert er auf die ‚klassische‘ Differenzierung von Kultur und Zivilisation, mit der ironischerweise Thomas Mann während des Ersten Weltkriegs zum Krieg gegen Frankreich aufrief (vgl. 83), er beruft sich an zentralen Stellen auf Heidegger (66, 139, 144, 163), auf Evola (88, 143) und eben auf Ernst Jünger, einmal auch Ayn Rand (142), die große Vordenkerin der neoliberalen Konterrevolution. Diese namentlichen Erwähnungen sind bemerkenswert, da Rochedy im Buch so gut wie nie Referenzen anführt. So bleibt der Kulturphilosoph Oswald Spengler zwar ungenannt, ist mit seiner Apokalyptik doch stets präsent, ebenso der Nazi-Philosoph Alfred Baeumler.

Die rhetorische Strategie des Buches ist raffiniert: Es beginnt relativ unpolitisch und sachlich – man wundert sich fast ein wenig –; erst im Verlauf offenbart Rochedy nach und nach seine politischen Ansichten. Es geht ihm, wie man dem Buch unschwer entnehmen kann, durchaus um eine Überwindung des bornierten Nationalismus im Dienste einer Vereinigung Europas; doch es soll sich um Europa handeln, das sich von liberalen, demokratischen, sozialen und humanistischen Werten verabschiedet hat und wieder an seine vergangene vermeintliche Größe anknüpft. Es soll von „kriegerischen“, „männlichen“ Werten regiert werden, und zum Erreichen dieses Ziels schreckt Rochedy auch vor gewaltsamen Methoden nicht zurück: „Ist … ein sauber ausgeführter Uppercut an das Kinn des Gegners zwingend weniger ‚klug‘ als das verbale Gegenargument?“ (154) Man wird sich das von ihm ersehnte Europa wohl ein wenig wie Putins Russland vorstellen müssen.

Entsprechend beschwert sich Rochedy darüber, dass die europäischen Städte „von afrikanischen Straßenhändlern“ (45) wimmeln, verkündet seinen Hass – vielleicht gar sein Ressentiment – gegenüber vermeintlich körperlich ‚verwahrlosten‘ Intellektuellen (vgl. 47, 154 f.) und bezeichnet die frühen Christen als „menschliche[n] Abschaum“ (94) und „Versager“ (ebd.).

Zwar verteidigt er Nietzsche mit dem Argument, ein Antifeminist, aber keineswegs misogyn gewesen zu sein (vgl. 140). Doch es ist klar, dass in diesem ‚neuen Europa‘ Frauen – ebenso wie alle anderen ‚minderwertigen‘ Menschen, ‚Behinderte‘, Nicht-Weiße, Homosexuelle etc. – eine bestenfalls untergeordnete Rolle spielen werden. Nicht misogyn ist das allenfalls, wenn man, wie er, davon ausgeht, Frauen seien von Natur aus zu einer devoten Position bestimmt.

Besonders wüst wird es jedoch, wenn Rochedy an den neurechten Verschwörungsmythos vom ‚Großen Austausch‘ anknüpft (vgl. 104, 113) und in diesem Sinne den europäischen „Ethnomasochismus“ (111) geißelt. Es gebe eine regelrechte Strategie bestimmter ‚Eliten‘, die – aus welchen Gründen auch immer – darauf abziele, die angestammte weiße europäische Bevölkerung durch Afrikaner und Muslime zu ersetzen.

Auch wenn Rochedy also eifrig darum bemüht ist, sich vom historischen Faschismus, dem Imperialismus und Militarismus zu distanzieren, und sogar von der Entfesselung einer „absurde(n) Gewalt in zwei Weltkriegen“ (111) spricht, wird nicht klar, wie er sich davon abgrenzen bzw. diese ‚Degeneration‘ verhindern möchte. Denn insbesondere die deutschen Nazis verfolgten ja durchaus die Idee eines von ‚Ariern‘ dominierten Abendlands, das es vor Judentum, ‚Bolschewismus‘ und westlichem Liberalismus zu retten gelte, und agitierten in diesem Sinne in den von ihnen besetzen Gebieten. Handelte es sich bei den Weltkriegen, bei Imperialismus und Faschismus, nicht genau um Eruptionen einer ursprünglichen und verdrängten Grausamkeit und „Männlichkeit“, die Rochedy doch eigentlich begrüßen müsste, auch wenn er die Notwendigkeit ihrer zivilisatorischen Einhegung durchaus zugesteht?

Und wie genau distanziert er sich von neonazistischen Hooligans oder Terroristen, die „afrikanischen Straßenhändlern“ oder anderem „Abschaum“ einen „Uppercut“ im Sinne der von Rochedy propagierten ‚Wehrhaftigkeit‘ verpassen oder sie gar massenhaft niedermetzeln wie Anders Behring Breivik oder Brenton Tarrant, die sich doch auf genau dieselben Konzepte bezogen? Man muss Rochedy nicht einmal unterstellen, sich subjektiv von diesen ‚Exzessen‘ nicht tatsächlich zu distanzieren wie der während des Zweiten Weltkriegs geläuterte Ernst Jünger – doch wenn er es ehrlich meint, müsste er sich ernsthaft fragen, ob es sich nicht um Exzesse seiner eigenen Ideologie handelt.

Was nun seine Nietzsche-Deutung angeht, gilt für Rochedy dasselbe, was er den „linken ‚Nietzscheanern‘“ (149) unterstellt: Sie „missbrauchen … ständig nur die Hälfte seines Denkens“ (ebd.). Er kritisiert zu Recht die unter postmodernen Interpreten verbreitete Unart, die Einheitlichkeit von Nietzsches Denken zu leugnen und in ihm nichts weiter als einen Skeptiker und Ironiker zu verstehen, der eigentlich nichts zu sagen habe außer dem Aufruf zur rein negativen geistigen Befreiung. In der Tat gleicht ein solcher Nietzsche eher Max Stirner (vgl. 150). Doch Rochedys Interpretation krankt an demselben Fehler, alle gegenläufigen Aspekte in Nietzsches vielfältigem Denken – insbesondere seine Werke vor dem Zarathustra – auszublenden.

So findet sich in der Morgenröthe – über die Rochedy kaum spricht – der bemerkenswerte Aphorismus Nr. 206, in dem Nietzsche in sehr deutlichen Worten das Leid der europäischen Arbeiterschaft benennt und anklagt und als Lösung selbst eine Art ‚großen Austauschs‘ vorschlägt: Die europäischen Arbeiter sollen in andere Kontinente auswandern, um dort ein heroisches Leben führen zu können und für eintönige Arbeiten durch besser geeignete Chinesen ersetzt zu werden.

Diese Überlegung Nietzsches ist natürlich, als realpolitische Agenda genommen, eher ein Kuriosum und ihrerseits rassistisch. Doch sie zeigt immerhin, dass Nietzsche wenigstens in dieser Phase die ‚soziale Frage‘ keinesfalls gleichgültig war, und er sich zumindest Gedanken machte, wie man sie lösen könne – und schlägt zu ihrer Lösung eine Maßnahme vor, die Rochedy doch als Inbegriff des „Ethnomasochismus“ verunglimpft. Und wieso eigentlich nicht? Akzeptiert man einmal die (rassistische) Prämisse, dass es ‚Rassen‘ gibt, die mehr oder weniger gut zur Unterordnung bestimmt sind, warum nicht große Teile der europäischen Bevölkerung austauschen? In ähnlichem Sinne spricht Nietzsche wiederholt davon, dass man, wenn man das antisemitische Stereotyp akzeptiert, eigentlich auf die Erzeugung einer ‚arisch‘-jüdischen ‚Mischrasse‘ hinarbeiten müsse, um die den Juden zugeschriebenen nützlichen Eigenschaften mit denen der ‚Arier‘ zu verbinden.

Was Nietzsche zugleich immer wieder – schon in der von Rochedy nur beiläufig erwähnten zweiten Unzeitgemäßen Betrachtung, Über Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben – betont, ist der perspektivische Charakter aller Erkenntnis und die Notwendigkeit des Experimentierens mit verschiedenen Wertmaßstäben, um zu niemals definitiven, jedoch immer besseren Weltinterpretationen zu gelangen. In diesem Sinne stehen auch alle Überlegungen des späten Nietzsche zum „Willen zur Macht“, zur Notwendigkeit einer Wiederkehr der „Herrenmoral“, zu neuen Sklavereien und Kastensystemen etc. – diese Stellen erfindet Rochedy ja nicht, das steht alles wörtlich bei Nietzsche; auch in seinen publizierten Schriften – allerdings unter dem expliziten Vorbehalt, eine solche „Perspektive“ bzw. ein bloßes Gedankenexperiment anzustellen, dem man als Leser durchaus widersprechen kann und auch soll. Immer wieder spricht Nietzsche als Kernessenz seiner Schriften aus, dass es darum gehe, ein eigenes Urteil zu gewinnen und sich von seinen Schriften nicht beeindrucken zu lassen. So lautet eines der die Fröhliche Wissenschaft einleitenden Gedichte:

„Es lockt dich meine Art und Sprach,

Du folgest mir, du gehst mir nach?

Geh nur dir selber treulich nach: –

So folgst du mir – gemach! gemach!“

Auch Zarathustra stößt seine Jünger immer wieder von sich. Er will keine Gläubigen um sich scharen, keine ein- für allemal feststehende Doktrin verkünden. Und dies genau im Namen der Vielfalt des „Lebens“ und der Wirklichkeit, die es immer wieder neu zu entdecken und zu definieren gelte.

Wenn also Rochedy bei Nietzsche eine „Metaphysik“ aufzuspüren meint und in seiner experimentellen Genealogie der Moral einen Generalschlüssel vermutet, der ausreicht, die komplexe soziale Realität der Moderne hinreichend zu verstehen, so entspricht er zwar, partiell, dem Wortlaut von Nietzsches Schriften, er widerspricht jedoch ihrem Geist. Nietzsche ruft wiederholt zur „Selbstüberwindung“ auf und richtet dieses Programm dezidiert, so der Untertitel des Zarathustra, an „Alle und Keinen“. Rochedy selbst stellt seinem Buch sogar das Zitat voran: „Leben – das heißt für uns Alles, was wir sind, beständig in Licht und Flamme verwandeln“ (7).

Doch diesem Programm einer heroischen Selbstwerdung als permanenter Selbstüberwindung folgt Rochedy nicht, sondern glorifiziert in kitschiger Manier Nietzsche und Wagner zu den „wohl zwei größten Genies, die die Welt jemals gesehen hat“ (25), und bezeichnet sich selbst als „Adepten“ (63) Nietzsches. Es ist jedoch sehr unnietzscheanisch, in seinen Schriften Material für ein politisch-ideologisches Programm zusammenzuklauben, das sich – wie Rochedy selbst zugibt – spätestens seit 1945 gründlich desavouiert hat.

Es ist ohne Zweifel wahr, dass unsere Zivilisation, ja, die Menschheit vor großen Herausforderungen steht, zu deren Lösung es radikaler Ideen bedarf. Doch, was die vermeintlich avancierte Neue Rechte zu bieten hat, ist der billige Abklatsch längst veralteter und historisch widerlegter Konzepte, der auf dem waghalsigen Versuch gründet, die großen Probleme der Gegenwart auf das einfache Schema „Herren- vs. Sklavenmoral“ zu reduzieren. Wen soll das ernsthaft überzeugen außer denjenigen, die die Realität ressentimentgeladen betrachten und verzweifelt nach Schuldigen für ihr eigenes Unvermögen suchen und sie eben nicht im ‚alten weißen Mann‘, sondern in einer ominösen ‚postmodernen Elite‘ finden? Nietzsches großer Appell: Befreit euch von Denkblockaden, öffnet euch der Vielfalt des Seins! Wagt neue Experimente und neue Perspektiven – aber holt bitte nicht verstaubte Götzen aus dem Gruselkabinett hervor!

In diesem Sinne kann ich mit Rochedy eigenen Worten enden: „Der selbsternannte ‚Unzeitgemäße‘ des 19. Jahrhunderts ist im 21. so zeitgemäß wie nie. Man muss ihn lesen und wieder lesen, auch wenn man nicht alle seine Ideen ungeprüft und bedingungslos übernehmen will (was er selbst als stets kritischer Geist wohl missbilligt hätte)“ (168).

Zima – Kritische Theorie

Peter V. Zima: Die Kritische Theorie zwischen Spätmoderne und Postmoderne. Nostalgie als Kritik

br., 295 S., 39,– €, Narr Franck Attempto-Verlag, Tübingen 2024

von Konrad Lotter

Zwei bereits im Vorwort zitierte Aussagen geben dem Buch die Richtung vor. Die eine stammt von Adorno und lautet: das „Maß des neuen Schlechten ist einzig das Frühere“ (und Bessere); die andere stammt von Marcuse: „Die kritische Theorie hat es in bisher nicht gekanntem Maße mit der Vergangenheit zu tun, gerade sofern es um die Zukunft geht“.

In beiden Aussagen, so Zima, kommt der Wandel der Kritischen Theorie zu einer Theorie der Spätmoderne zum Ausdruck. Unter dem Eindruck des konsolidierten Kapitalismus und der Schrecken des Stalinismus verabschieden sich die Vertreter der Kritischen Theorie in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts von Marx und der Hoffnung auf eine proletarische Revolution und schwenken auf eine Argumentationslinie ein, die von den spätmodernen Soziologen und Philosophen Ferdinand Tönnies, Georg Simmel und Max Weber vorgezeichnet ist: radikale Kritik an den Missständen, Entfremdungen und Fehlentwicklungen des kapitalistischen Systems, verbunden mit der Erinnerung an das Positive, das im Prozess des gesellschaftlichen Fortschritts verloren gegangen ist. Dabei handelt es sich um keinen romantischen Antikapitalismus, der in eine idealisierte Vergangenheit zurückkehren will, sondern um die Forderung, die einmal verwirklichten Errungenschaften an Humanität nicht preiszugeben, sondern in die fortgeschrittene Form der Gesellschaft aufzuheben.

In diesem Sinne sind für Horkheimer, Adorno oder Marcuse, die gleichermaßen dem Großbürgertum entstammen, der liberale Individualismus und die damit verbundene Bildung, Kritikfähigkeit und Autonomie des Individuums ein Wert, hinter den nicht zurückgefallen werden darf. Hatte die Kritische Theorie in ihren Anfängen noch mit Marx das Proletariat als „Subjekt“ der Geschichte begriffen, so ist jetzt das autonome Individuum an seine Stelle getreten. Bei Habermas, in der zweiten Generation der Kritischen Theorie, ist daraus die „herrschaftsfreie Kommunikation“ der vernunftbegabten, autonomen Individuen geworden, die sich vom „besseren Argument“ leiten lassen.

Der Schwerpunkt des Buches liegt allerdings nicht auf der skizzierten Entwicklung der Kritischen Theorie hin zu einer Theorie der Spätmoderne, sondern im Übergang (oder eigentlich Verfall) der Spätmoderne zur Postmoderne. Trotz ihrer Abkehr von Marx bleiben „Utopie“, „Revolution“ oder „Überwindung“ (des Kapitalismus) Themen der zur „Frankfurter Schule“ gewandelten Kritischen Theorie, wenn auch nicht mehr im Sinne von Marx, sondern mit der vagen Perspektive auf ein „ganz Anderes“. Bei den Postmodernen ist die Abkehr von Marx noch viel entschiedener, so dass selbst diese Themen als überholt, anachronistisch und sogar als gefährlich angesehen werden. An die Stelle der Kritik der naturwüchsigen (kapitalistischen) Verhältnisse treten ein „Living Without an Alternative“ (Zygmund Baumann) und die rückhaltlose Anerkennung der bestehenden Verhältnisse. An die Stelle des (Gebrauchs-)Werts der Dinge tritt die Universalität des Tauschwerts, der alle Wert-Differenzen einebnet (Jean Baudrillard). An die Stelle des Versuchs, die Selbstbestimmung der Individuen zu fördern, tritt deren Gleichschaltung innerhalb der Massengesellschaft (Jean-François Lyotard). Die Reduktion der Vernunft auf die Zweckrationalität und die „Eindimensionalität“ des Menschen werden als Faktum hingenommen und akzeptiert (Gianni Vattimo). Als positiv wertet Zima dagegen die „Vielfalt“ der postmodernen Theoretiker, ihr Interesse für das Einzelne; darin sieht er einerseits eine Verwandtschaft mit Adornos „Akzentuierung des Partikularen“, andererseits einen Gegensatz zum Universalismus der „großen Erzählungen“ von Hegel oder Marx.

Bemerkenswerterweise sehen sich die Theoretiker der Postmoderne selbst oftmals in völliger Übereinstimmung mit der Frankfurter Schule (Michel Foucault) oder knüpfen ausdrücklich an deren Gedanken an. Tatsächlich aber, so die Kritik Zimas, treiben sie deren Gedanken nur „auf die Spitze“ und verkürzen sie, um sie dann als „Argumente gegen sie zu wenden“. So kehrt Lyotard das „Erhabene“ Adornos, das „die Kritikfähigkeit der Kunst und des Einzelnen stärken sollte, gegen das Subjekt“. Der französische Soziologe Michel Maffesoli analysiert (in Übereinstimmung mit Horkheimer und Adorno) zwar den Niedergang der individuellen Autonomie, feiert deren Unterordnung unter die Masse aber als „postmodernen Fortschritt“. Baudrillard erinnert zwar an die Kritik des Tauschwerts, vertritt aber die Auffassung, dessen Herrschaft über den Gebrauchswert sei so total, dass er als „Archimedischer Punkt der Kritik“ ausgedient hat. Grundsätzlich hatte die Kritische Theorie (mit Walter Benjamin) zwischen dem Fortschritt der Naturbeherrschung und dem der Gesellschaft und der in ihr verwirklichten Humanität unterschieden. Dieser Unterschied ist in der Postmoderne, die allein den Fortschritt der Naturbeherrschung thematisiert, verschwunden. Adorno und Horkheimer kritisierten zwar die rücksichtslose Beherrschung der Natur, deren Methoden auf die Beherrschung des Menschen übertragen werden; gleichzeitig widmen sie dem Individualismus des Liberalismus eine „rettende Kritik“. Diese Dialektik kommt in den postmodernen Theorien nicht mehr vor. Gezeigt wird stattdessen nur, wie das Netz der Disziplinierung und der Angleichung der Individuen immer enger wird, so dass sie zuletzt vollständig verschwinden „wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand“ (Foucault).

Als Literaturwissenschaftler verweist Zima oftmals auf Parallelen zwischen Philosophie und Literatur und macht auf Selbstreflexionen der Moderne aufmerksam, wie sie auch bei Baudelaire, Valery, Kafka oder Broch anzutreffen sind. Wiederholt zitiert er den bezeichnenden Satz von Robert Musil: „Der Individualismus geht zu Ende … aber das Richtige (an ihm) wäre hinüberzuretten.“ Was wäre aber das Richtige? Zimas Antwort (im Sinne der Frankfurter Schule) lautet: die individuelle Autonomie des liberalen Zeitalters, die Fähigkeit zur Kritik und zum Widerstand, die Fähigkeit, dem ideologischen und kommerzialistischen Konformismus zu widerstehen, letztlich die Würde des Menschen.

Zimas Buch ist gut gegliedert, in seinen Argumenten (auch dank vieler Wiederholungen) gut nachvollziehbar. Es vermittelt ein breites Spektrum der weitgespannten Diskussion, in der Zima am Ende auch selbst Stellung bezieht. Er plädiert (wie schon in früheren Werken) für eine „dialogische Erneuerung der Kritischen Theorie, die postmoderne Kritiken an der (Spät-) Moderne ernst nimmt und den Universalismus der Kritischen Theorie mit dem Partikularismus der postmodernen Denker dialektisch zusammenführt“. Er wehrt sich vor allem gegen Habermas, der die Postmoderne als bloßen Konservativismus abtut und möchte Horkheimer und Adorno „mit Hilfe des postmodernen Partikularismus … korrigieren und ergänzen“. Mit diesem Konzept versucht er, „unzeitgemäß gegen den Zeitgeist zu denken“. So unzeitgemäß, wie behauptet, erscheint dieses Konzept freilich nicht. Höchst zeitgemäß und dem Mainstream entsprechend ist vielmehr, was Zima mit beiden Ansätzen, deren Synthese er anstrebt, verbindet: die Ablehnung der Marxschen Theorie und der Mangel einer wirklichen, gesellschaftlichen (nicht bloß individuellen) Perspektive, die über die Grenzen des gegenwärtigen Kapitalismus hinausblickt.