Heft 29: Geist und Gehirn

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16. Jahrgang, 1997, 180 Seiten, broschiert

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Das Heft versammelt Beiträge und Rezensionen, die der Bestandsaufnahme einer Thematik dienen, die bisher eher in Fachkreisen, von einer breiteren, auch philosophischen Öffentlichkeit, jedoch kaum debattiert worden ist. Seit vom amerikanischen Kongreß dieses Jahrzehnt zur „Dekade des Gehirns“ ausgerufen und die Erforschung des Gehirns zur nationalen Aufgabe erklärt wurde, findet in den Vereinigten Staaten eine intensive Erforschung des menschlichen Gehirns statt, die von einer lebendigen und fruchtbaren Diskussion der Psychologen, Kognitionswissenschaftler und Philosophen begleitet wird. Die Erforschung des Gehirns gilt als der Schlüssel, um das Bewußtsein erklären zu können. Die deutsche Kulturlandschaft scheint darauf nicht vorbereitet zu sein. Zu tief sitzt hier das Vorurteil, die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften auf der einen Seite, die Naturwissenschaften auf der anderen hätten verschiedene Gegenstände und Methoden, wobei die Philosophie sich in der Regel den Geisteswissenschaften zugeordnet hat. Doch gerade diese Tradition der „zwei Kulturen“ läßt die Brisanz der Gehirnforschung ermessen. Sollte es ihr gelingen, diese Trennlinie zwischen Geistigem und Natürlichem zu überschreiten, wären die Folgen für unser kulturelles Selbstverständnis unabsehbar. Die Organisationsformen von Wissen und Ausbildung, die Begriffe, in denen und mit denen wir uns verständigen, würden grundlegend geändert; bislang akzeptierten Argumentations- und Legitimationsmustern drohte die Entwertung.

Vor allem die Philosophie, so wie wir sie kennen, wäre davon betroffen. Welche Legitimationsinstanz hätte unter dieser Bedingung noch die Rede vom „Subjekt“, von „emanzipatorischen Ansprüchen“, vom „kommunikativen Diskurs“, wenn unsere Begriffe und Ideen vernünftigerweise nur noch als Repräsentationen aktueller Gehirnzustände gelten können? Bislang waren solche Verabschiedungen des Subjekts große Gesten, die die Feuilletons füllten und gewisse politische Diskurse prägten; morgen wären sie „harte Wissenschaft“. Weite Teile der heutigen Philosophie verlören ihre Berechtigung; sie wären uninteressante Glaubensbekenntnisse, repräsentierten aber kein legitimierbares Wissen.

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Diese Nummer kann und will die möglichen Zukunftperspektiven nicht erörtern, aber auf ihre Möglichkeit hinweisen. Sie ist eine Bestandsaufnahme, die die interne Fachdiskussion einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen versucht. Wie diffus und genau ist das Bild vom menschlichen Gehirn? Wo liegen die Schwerpunkte der gegenwärtigen Forschung? Welche Modelle werden derzeit diskutiert? Wie gestaltet sich der Dialog zwischen Neurologen und Philosophen?

Den Anfang macht der Artikel von Sibylle Weicker und Alexander von Pechmann, der die gegenwärtige Problemlage der Philosophie des Geistes und der Erkenntnis vorstellt und typologisierend die verschiedenen Antworten zu strukturieren versucht. Ihm folgt ein Beitrag von Martin Korte, der die funktionelle Architektur des Gehirns vorstellt, so wie sie, in ihren teils klaren, teils unklaren Umrissen, den Neurowissenschaftlern heute vor Augen steht.

In seinem Beitrag über „Künstliche Seelen“ geht Harald Schaub den derzeitigen und absehbaren Mglichkeiten nach, menschliche psychische Prozesse nachzubilden. Die Brücke von der Gehirnforschung zur Philosophie schlägt Ulrich Müller, der auf die Differenz der Diskussion von Neurologen und Philosophen diesseits und jenseits des Atlantiks hinweist.
Rainer E. Zimmermann stellt ein Konzept vor, das Kognition und Bewutsein im Sinne einer „Selbstlektüre der Natur“ zu erfassen und zu beschreiben versucht. In einem fiktiven Gesprch während des Rundgangs durch das Gehirn wird abschließend nach dem Geist in dieser Fabrik gefragt.

Im ausführlichen Rezensionsteil des Heftes werden relevante Bücher zum Thema der Nummer sowie einige Neuerscheinungen besprochen.

Den Abschluß der Nummer bilden ein Gespräch mit dem afrikanischen Philosophen Henry O. Oruka, das Kai Kresse geführt hat, das dem Leser einen Vorgeschmack auf die nächste Nummer geben soll, die dem Thema „afrikanische Philosophie“ gewidmet sein wird, sowie ein Bericht vom Kongreß der Internationalen Assoziation von Philosophinnen in Wien von Maria Isabel Peæa Aguado und Bettina Schmitz.

Die Redaktion