Heft 37: Jüdisches Denken, jüdische Philosophie

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21. Jahrgang, 2001, 140 Seiten, broschiert

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Die Faszination, die vom jüdischen Denken ausgeht, liegt nicht zuletzt in seiner Vieldeutigkeit und seinen Widersprüchen begründet. Zum einen wird es nicht selten mit Kabbala und Geheimlehre assoziiert, deren Endzeit- und Erlösungsvorstellungen die europäische Mystik durchziehen und sich bei Herzl mit zionistischer, bei Benjamin und Bloch mit kommunistischer Politik verbinden. Zum anderen wird eine Affinität des jüdischen Denkens zur Rationalität des Kapitalismus unterstellt, die Juden in der führenden Rolle des kapitalistischen Zirkulationsprozesses gesehen (Sombart, Horkheimer). Aber auch Neukantianismus und Lebensphilosophie, Phänomenologie und analytische Philosophie sind maßgeblich durch Juden repräsentiert, so dass das jüdische Denken überhaupt als zur Philosophie prädestiniert oder prädisponiert erscheint. Auch der Begriff der jüdischen Philosophie, der doch Erwartungen von festen Grenzen und Systematik schürt, erweckt ganz verschiedenartige Assoziationen. Den einen bezeichnet er eine bestimmte, vor allem im Mittelalter beheimatete Religionsphilosophie (Halevi, Maimonides), d.h. eine Art prä-modernen Denkens, das noch ganz unter dem Patronat des Glaubens steht. Die anderen hingegen meinen, in ihr das Paradigma einer neuen, post-modernen Rationalität zu erkennen, die ihre dekonstruktivistischen Verfahren an der rabbinischen Auslege-Kunst orientiert und, unter dem Ausschluss einer absoluten Wahrheit, Raum für „Differenzen“ schafft (Derrida, Bloom).

Schließlich ist auch die Frage der Geltung oder der Verbindlichkeit weitgehend offen und ungeklärt. Plausibel zwar und gut begründet erscheint der Vorwurf des Partikularismus. Jüdisches Denken ist das Denken eines („ausgewählten“) Volkes, das sich durch seine exklusive Beziehung zu seinem Gott (dem „Gott Israels“) auszeichnet und eigensinnig auf Abgrenzung beharrt. Gleichzeitig aber werden Abweichung und Fremdheit zum Vorbild und Modell eines neuen Universalismus, der das Partikulare nicht identifizieren, homogenisieren und vereinnahmen möchte, sondern Offenheit und Vielstimmigkeit zu seinem Prinzip hat.

Das vorliegende Heft versucht, Grenzlinien zu ziehen und einen Orientierungsrahmen zu vermitteln. Über das bloß begriffliche und (philosophie-)geschichtliche Interesse hinaus, zielt es auf die Erneuerung eines Dialogs, der durch Nationalsozialismus und Holocaust gewaltsam beendet worden und auch unter den Bedingungen der Berliner Republik nur zögerlich wieder aufgelebt ist.

In einem einführenden Artikel unterscheidet Konrad Lotter sechs Perspektiven, unter denen  „Judentum“ zur philosophischen Kategorie geronnen ist. Durch Stichpunkte, inzwischen „klassisch“ gewordenen Fragestellungen und Debatten werden diese Kategorien in ihren Umrissen skizziert und ihrer Tragfähigkeit problematisiert.  Speziell am Begriff der jüdischen Philosophie selbst (der 1818 erstmals von Leopold Zunz verwendet wurde) zeigt Thomas Meyer die Schwierigkeiten einer  zwischen religiöser, sozialer oder ethnischer Identität schwankenden  Definition. Unter bewusstem Verzicht auf Allgemeinheit und Verbindlichkeit konzentriert er sich darauf, einzelne hervorragende Positionen zu bestimmen. Eine Umfrage des Widerspruch, an der Astrid Deuber-Mankowsky, Richard Faber, Daniel Krochmalnik, Friedrich Niewöhner, Werner Stegmeier, Giuseppe Veltri und Michael Zank teilgenommen haben, problematisiert den Begriff der jüdischen Philosophie und fragt nach deren Stellung zur einen Philosophie. Es geht, metaphorisch ausgedrückt, um das Verhältnis „Athen und Jerusalem“, um die Möglichkeiten einer Erneuerung jüdischer Denktraditionen bzw. um die „Säkularisierung“ und Aufhebung religiöser Denkfiguren im aktuellen philosophischen Diskurs.

In unserer Reihe „Münchner Philosophie“ erscheint diesmal ein autobiographischer Bericht von Günter Zöller, der …

Im abschließenden Rezensionsteil werden 19 aktuelle Neuerscheinungen aus der Philosophie vorgestellt.

Die Redaktion