Heft 39: Kritik der Globalisierung – außereuropäische Perspektiven
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23. Jahrgang, 2003, 134 Seiten, broschiert
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Zum Thema
Lange Jahre erschien die Globalisierung als ein schicksalhafter, gleichsam naturwüchsiger Prozess, angetrieben durch die neuen Produktivkräfte der Datenverarbeitungs- und Kommunikationstechnologien. Wer nicht vom Lauf der Geschichte überrollt und marginalisiert werden wollte, musste sich ‚einklinken’, sich weltweit verdrahten und vernetzen. Kein Land hielt diesem „Druck der Geschichte“ stand. Selbst Länder wie Kuba oder China müssen, ob sie wollen oder nicht, ihre Märkte weiter öffnen, ihre Haushalte offen legen und dem globalen Waren-, Kapital- und Informationstransfer ihren Tribut errichten. „Im Zeichen der Globalisierung“ stand wahlweise für einen Aus- und Aufbruch zu neuen Ufern oder für das Menetekel, das vom Ende der Kultur kündete.
Seit den globalen Manifestationen des Protests gegen die Globalisierung hat sich die Lage geändert. Alternativen sind denkbar geworden. Damit aber sind auch die alten politisch-praktischen Fragen wieder aufgetaucht: Besteht die Alternative in der Reform, d.h. in der politischen Gestaltung des „neoliberalen Globalisierungsprozesses“; oder bieten die globalen Vernetzungen der Produktion und Kommunikation die Chancen einer grundlegenden Demokratisierung und Überwindung überkommener Herrschaftsstrukturen? Mit den weltweiten Protesten sind aber auch ganz neue Fragen entstanden: wie ist die Gewalt und die Militanz in den verschiedenen Weltregionen gegen die „Dominanz des Westens“ zu verstehen und wie versteht sich dieser Protest selber? Unter den globalen Bedingungen scheint es, dass sich die alte Frage nach dem Subjekt der Veränderung neu und komplexer stellt.
Das Heft nimmt sowohl den Prozess der Globalisierung als auch die entstandene Kritik ernst. Das bedeutet, die gewohnte europäische Perspektive auf das, was geschieht, auch in Frage zu stellen, sich trotz der eigenen Maßstäbe auch den anderen, außereuropäischen Manifestationen und Artikulationsformen der Kritik und des Protestes zu öffnen. Diese Auseinandersetzung mit dem Fremden ist gerade da vonnöten, wo die eigenen Denkmodelle in Frage gestellt werden, die Interessen verschieden sind und auch Ängste und Tabus bestehen.
Den Anfang macht der nigerianische Religionswissenschaftler Afo Adogame. Er stellt die Globalisierung und ihre Kritik aus afrikanischer Perspektive dar. Zum einen erhofft er sich gerade auf Grund der leidvollen Erfahrungen der Afrikaner mit den kolonialen und globalen Praktiken einen Beitrag Afrikas zu einer menschlichen Globalisierung; er klagt zum anderen aber für eine solche Art des Zusammenwachsens der Kulturen die Kenntnisnahme und den Respekt gegenüber den Werten und Lebensformen der afrikanischen Kulturen ein.
Die indische Soziologin Shalini Randeria thematisiert die Frage des Rechts, das im Zeitalter der Globalisierung zum Dreh- und Angelpunkt für die Erhaltung und die Transformierung von Staaten wird. Sie zeigt an Beispielen aus Indien, dass sich in der Pluralisierung des Rechts der südlichen Staaten die Konflikte zwischen den oft ganz verschiedenen Rechtsvorstellungen des Nordens und des Südens widerspiegeln, und wie zwischen diesen Fronten die Handlungsfähigkeit dieser Staaten gleichsam ‚zerrieben’ wird.
Der Sozialphilosoph Oliver Kozlarek beschreibt die Konflikte zwischen westlicher Moderne und ihrer Kritik in Lateinamerika, insbesondere in Mexiko. Er sieht in diesen Konflikten eine eigenständige Form der Modernisierung, die sich aus der „Vermischung“ des prähispanischen Indigenismus, des Mestizaje und der westlichen Moderne speist. Kozlarek nennt diese Lebensform den „Ethos des Barocken“, der sich in „eklatanten Widersprüchen“ bewegt.
Der chilenische Publizist Raul Claro Huneeus stellt das interkulturell und interdisziplinär entstandene Memorandum der Heinrich-Böll-Stiftung vor, das eine Alternative zur gegenwärtigen Praxis neoliberaler Globalisierung entwirft. Diese Konzeption verbindet die Grundsätze des gerechten Ausgleichs zwischen Nord und Süd mit dem ökologischen Prinzip der Nachhaltigkeit und formuliert eine Anzahl konkreter hic-et-nunc-Maßnahmen.
In der Reihe „Münchner Philosophie“ stellt der indische Philosoph Ram A. Mall seine Lehr- und Wanderjahre zwischen Europa und Indien dar. Er tritt gerade in den Zeiten eines drohenden Konflikts der Kulturen für eine interkulturelle Hermeneutik ein, die auf dem Verzicht beruhen muss, die Wahrheit durch die eigene Tradition exklusiv zu definieren.
Das Sonderthema des Heftes beleuchtet kritisch das Verhältnis von Ethik und Ökonomie. Thies Boysen und Markus Breuer fragen, ob und inwieweit Ethik käuflich ist und folglich meistbietend gekauft werden kann.
Neben einem umfangreichen Rezensionsteil von Büchern zum Thema beschließen Rezensionen aktueller Neuerscheinungen das Heft.
Da das Thema dieses Hefts, die Kritik der Globalisierung, uns weiterhin beschäftigen wird, werden wir die Thematik in einer folgenden Nummer fortsetzen.
Die Redaktion