Heft 47: Alternative Ökonomien

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28. Jahrgang, 2008, 214 Seiten, broschiert

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Nicht zuletzt die Proteste der Wirtschaftsstudenten an der Pariser Sorbonne gegen den „Autismus“ der gegenwärtigen Ökonomen haben gezeigt, dass der Unmut über die herrschende Ökonomie mittlerweile selbst die Wirtschaftswissenschaften erreicht hat. Herrschte hier doch für Jahrzehnte Stillstand der Diskussion. „There is no alternative“ war nicht nur der neoliberale Schlachtruf Maggie Thatchers, der alles Nachdenken über andere Wirtschaftsformen beenden sollte; er erhielt auch massive Unterstützung aus dem Lager der Postmodernen, die das Ende der „großen Erzählungen“ für gekommen und umfassende gesellschaftliche Zusammenhänge für nicht erkennbar hielten. So konnte lange Zeit die moralische Empörung über die Auswüchse des Kapitalismus dominieren, wie sie in den 90er Jahren so beredt und wirkungsvoll von Naomi Kleins „No Logo“ und Vivienne Forresters „Terror der Ökonomie“ artikuliert wurde. Es schien zu genügen, den Kapitalismus der Unmenschlichkeit anzuklagen.

In den letzten Jahren hat sich jedoch die innerökonomische Kritik und die Suche nach Alternativen zur Marktwirtschaft verstärkt. Gegen die neoliberalen Wirtschaftslehren wird nicht nur eingewandt, dass sie sich zum Büttel der ökonomisch Mächtigen gemacht haben, sondern dass sie ihres Formalismus wegen auch realitätsfern sind und keine Antworten auf die globalen Fragen geben. Erleben sie doch zur Zeit ihr Desaster, da angesichts der

Finanzkrise selbst Wirtschaftsbosse und Bankenchefs gestehen, nicht mehr an die „Selbstheilungskräfte der Märkte“ zu glauben, und nach der intervenierenden Heilkraft des Staates rufen.

Ausgangspunkt aller Kritik ist die Einsicht, dass die kapitalistische, auf Konkurrenz und Profit gegründete Wirtschaftsform die beiden großen Zukunftsfragen, die soziale Gerechtigkeit und die ökologische Nachhaltigkeit in einer globalen Welt, keineswegs löst, sondern die Schere von Arm und Reich und die Umweltkrisen selbst produziert. Sie erkennt im Kapitalismus nicht die Lösung der Probleme, sondern das Problem.

Drei Modelle werden heute weltweit als Gegenentwürfe zur Marktwirtschaft diskutiert: die „Wohlfahrtsökonomie“, die das wirtschaftliche Handeln nicht, wie die herrschende Ökonomie, auf das Nutzenkalkül des homo oeconomicus gründet, sondern das Wirtschaftssystem an den Möglichkeiten bemisst, die Fähigkeiten der/des Einzelnen zu verwirklichen. „Wohlfahrt“ bedeutet hier nicht bloße Gütervermehrung, sondern die Entfaltung der individuellen Fähigkeiten aller. – Die „Solidarische Ökonomie“, die das Wirtschaftssystem als ein Netzwerk gleichsam ‚von unten’ her aufbaut, und die auf den Prinzipien der betrieblichen Selbstverwaltung und des gleichberechtigten und fairen Handels der Wirtschaftspartner beruht. Sie ist mittlerweile in Lateinamerika zur Herausforderung des neoliberalen Konkurrenzsystems geworden. – Und schließlich die Diskussion um eine „sozialistische Ökonomie“, die in Marxscher Tradition die gesellschaftliche Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel ins Zentrum des Wirtschaftsgeschehens stellt und die Wirtschaftsaktivitäten der demokratischen Planung oder Kontrolle unterordnet.

Diese drei Modelle verstehen sich nicht als bloße Ergänzungen oder Erweiterungen der Marktwirtschaft, sondern als zeitgemäße Alternativen, die den globalen Herausforderungen Rechnung tragen.

In seinem Artikel „Wie ist heute eine alternative Wirtschaftspolitik denkbar und möglich?“ weist Frieder Otto Wolf einleitend auf die historischen wie systematischen Voraussetzungen und Bedingungen hin, unter denen die Debatte über eine andere Wirtschaftsform gegenwärtig erst sinnvoll werden kann.

Alexander von Pechmann vollzieht in seinem Beitrag „Lest Adam Smith, David Ricardo, Karl Marx!“ kritisch nach, wie sich der heute dominierende „neoklassische“ Diskurs in der Wirtschaftswissenschaft etabliert hat, und plädiert für eine Rückkehr zu den Themen und Fragestellungen der „klassischen Ökonomie“.

Einen Überblick über den Stand der Diskussion gibt die Umfrage zum Prinzip der neoklassischen Wirtschaftswissenschaften, dem „homo oeconomicus“, an der neun Ökonomen, Soziologen, Politologen und Philosophen teilgenommen haben.

Der anschließende Text von Manuel Knoll rekonstruiert Martha C. Nussbaums „Fähigkeiten-Ansatz“ (capabilities approach) und diskutiert die Konsequenzen, die sich aus diesem für ein alternatives Verständnis der Ökonomie ergeben.

Den Abschluss der Themenreihe bildet der Artikel „Transformationsprozesse der sozialökonomischen Praxis und Grundriss einer Systemalternative“ von Horst Müller. Er stellt das konkrete Alternativkonzept der „Sozialwirtschaft“ vor und erörtert die Möglichkeiten der Transformation der gegenwärtigen „Kapital-“ in eine künftige „Sozialwirtschaft“.

Das Thema des Hefts wird mit einer Reihe von Rezensionen einschlägiger Bücher abgeschlossen. Sie geben Einblick in den gegenwärtigen Stand der Diskussion über Alternativen in der Ökonomie.

Die „Münchner Philosophie“ wird diesmal aus Sicht der Studierenden dargestellt. Friedrich Rackwitz reflektiert in seinem Beitrag das Spannungsverhältnis zwischen den Erwartungen, die er mit dem Studium der Philosophie verbindet, und den konkreten Erfahrungen, in denen sich das Studium der Philosophie heute in München vollzieht.

Das Sonderthema des Heftes ist der Debatte um die Willensfreiheit gewidmet. In seinem Artikel „Die Einheit der Person“ argumentiert Eugen Muchowski für ein Verständnis der Person, das konsistent sowohl das wissenschaftliche Prinzip der Determiniertheit von Handlungen als auch das moralische Prinzip der individuellen Verantwortung eigenen Handelns zu verbinden erlaubt.

Wie immer schließen Rezensionen interessanter Neuerscheinungen den Band ab.

Die Redaktion