Heft 53: Brauchen wir Eliten?

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31. Jahrgang, 2011, 188 Seiten, broschiert

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Dass es Eliten gibt, ist unbestritten. Wurden in den bürgerlichen Revolutionen die Privilegien von Adel und Klerus auch abgeschafft, so rekrutieren sich weiterhin die Eliten aus den speziellen Führungsakademien und Business Schools, um die Machtpositionen im Staat und  in der Wirtschaft einzunehmen: Ein Prozent der Deutschen verfügt heute über mehr ein Viertel des Gesamtvermögens.

Was sich jedoch geändert hat, ist die Legitimität der Eliten. War die europäische Elite nach dem Desaster des Faschismus und angesichts des ‚sozialistischen Lagers’ jahrzehntelang recht kleinlaut und musste sich soziale Öffnungen, gesetzliche Regelungen der betrieblichen Mitbestimmung und der politischen Partizipation gefallen lassen, erschallt seit dem Fall der Mauer wieder schamlos der Ruf: „Wir brauchen Eliten!“. Seither wurden EliteHochschulen gekürt, Elite-Studiengänge etabliert und ElitePartner.de vermittelt Kontakte für „Akademiker & Singles mit Niveau“. Ohne Eliten, so das demokratieverachtende Credo, seien kein handlungsfähiger Staat und keine erfolgreiche Wirtschaft zu machen.

Auf der anderen Seite wachsen seit einigen Jahren die antielitären und egalitären Bewegungen. Die Massenproteste gegen die Laufzeitverlängerung der Atomkraft in Deutschland, gegen den ‚Berlusconismus’ in Italien, gegen die Erhöhung des Rentenalters in Frankreich, die Kämpfe in Griechenland und um die „Democracia Real Ya“ in Spanien – sie alle richten sich nicht nur gegen die Inhalte, sondern gezielt gegen das Verhalten und das Gebaren der Eliten. Und in jüngster Zeit zeigt die Bevölkerung in den arabischen Ländern, dass sie bereit und fähig ist, sich selbst zu organisieren, dass sie keine Eliten mehr will und braucht.

Diesen aktuellen Vorgängen entgegen beharrt die politische Philosophie auf der Meinung, dass, zumal dynamische, Gesellschaften Eliten brauchen. Strittig ist nur, wie sie zu begründen und rechtfertigen sind, welche Funktionen sie zu erfüllen haben, und welche Anforderungen an sie zu stellen sind. Dass die Menschheit jedoch auf ewig gespalten sei in ein „Oben“, das anschafft und führt, und ein „Unten“, das ausführt und gehorcht, dies gehört seit Platons Kritik an den Sophisten zum Kanon des politischen Denkens.

Angesichts dieses Dogmas politischer Theorie haben die Egalitären sich seit jeher schwer getan. Sie wurden als Chiliasten verlacht, als Utopisten denunziert oder als Radikale verfolgt. In den letzten Jahren scheinen sie jedoch auf unerwartete Weise Auftrieb zu erhalten: egalitäre Bewegungen nutzen weltweit die neuen Medien der Kommunikation und entwickeln neue Formen der sozialen und politischen Selbstorganisation. Es scheint sich Marx’ Einsicht zu bewahrheiten, dass die Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivkräfte die Notwendigkeit von Herrschaft und Elite untergräbt.

Auch wenn es zweifellos ein weiter Weg ist von der herrschaftsfreien Organisation politischer Aktionen zu einer Gesellschaft ohne Elite, so stellt sich unter den heutigen Bedingungen erneut die zentrale Frage der politischen Theorie: „Brauchen wir Eliten?“. Sie steht im Zentrum des Hefts.

Den Anfang macht das Gespräch von Roger Behrens und Volker Weiß, das die gegenwärtigen Legitimationsstrategien der Eliten analysiert und sie in den historischen Kontext der traditionellen Elitetheorien stellt.

Der Beitrag von Manuel Knoll stellt die Gerechtigkeitstheorie des Moralphilosophen Michael Walzer dar, die die Elitebildung an spezifische Gleichheitsbedingungen und eingeschränkte Geltungsbereiche knüpft.

In „Kunstelite und Massenkultur. Versuche ihrer Versöhnung“ geht Konrad Lotter den unterschiedlichen und folgenreichen Konzeptionen nach, Elemente und Formen der „hohen“ und der „niederen“ Kunst miteinander zu verbinden.

Der Beitrag von Helga Sporer „Multitude gegen Eliten“ diskutiert die Gesellschaftstheorie von Michael Hardt und Antonio Negri, die in der „Menge“ das Potential zu herrschaftsfreier Selbstorganisation und -regierung erkennt.

Das Manifest „Gesellschaft ohne Eliten“ von Csanád Bartos nennt das Prinzipien und Umstände, unter denen eine herrschaftsfreie und solidarische Gesellschaft zu denken ist.

Fortgeführt, erweitert und abgeschlossen wird das Thema mit einer Reihe von Rezensionen zum Spannungsfeld von Gleichheit und Eliten.

In der Rubrik „Münchner Philosophie“ stellt diesmal Hannes Leitgeb die Umwege und Wege dar, die ihn zur Logik und Sprachphilosophie geführt haben.

Das Sonderthema ist Karl Marx gewidmet. Steffen Murau vergleicht den Begriff der Kritik bei Kant mit der „Kritik der politischen Ökonomie“, wie sie Marx im „Kapital“ ausgeführt hat.

Ein umfangreicher Rezensionsteil von ausgewählten Neuerscheinungen schließt das Heft ab.

Die Redaktion