Heft 9: Frauendenken

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5. Jahrgang, 1985, 214 Seiten, broschiert

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Frauen treten heute selbstbewußter auf: in zahlreichen Kämpfen haben sie sich in den vergangenen Jahren ihren Platz in der Politik und in den Wissenschaften erobern können; nicht wenige haben erstmals eingegriffen in die sozialen Konflikte um Frieden und Umweltschutz, um Arbeitsplätze und gleichen Lohn; die Sensibilität für diskriminierende patriarchale Strukturen und Verhaltensweisen ist gestiegen. Und dennoch – die Diskussion ums Scheidungsrecht und den § 218 ist wieder entbrannt; an die Frauen ergeht der Appell der Regierung, aus arbeitsmarkt- und bevölkerungspolitischer Verantwortung ihren Arbeitsplatz wieder mit dem hinter dem Herd zu tauschen und die personellen Engpässe der Bundeswehr lösen zu helfen. An den Hochschulen werden die Frauenprojekte gestrichen; mehr noch als in anderen Fachbereichen ist in der Philosophie die Frau weiterhin das unbekannte Wesen.

Wir meinen, daß die aktuelle Frage nach der Krise, in der manche die Frauenbewegung sehen, sich nicht von der grundsätzlichen philosophischen Frage nach dem Verständnis und Selbstverständnis der Frau trennen läßt. Ist die Frau ihrem Wesen nach die Mutter, deren Leben sich in der Produktion und Reproduktion der menschlichen Gattung erfüllt? Begreift sie sich in erster Linie als Frau, deren geschlechtsspezifische Qualitäten sie als sozial, kulturell und politisch bestimmendes Subjekt der Gesellschaft zu verwirklichen trachtet? Oder versteht sie sich wesentlich einfach als Mensch, der folglich die geschlechtsspezifische Rollen- und Arbeitsvertellung als diskriminierend erfährt und in der Gleichberechtigung von Mann und Frau zu überwinden strebt?

So selbstverständlich das einigende Band der Frauenbewegung das Postulat der Selbstbestimmung ist – die entscheidenden Unterschiede, ja Konflikte, kristallisieren sich dann heraus, wenn es um ihre inhaltliche Auffüllung geht. Ein Teil der Frauenbewegung entdeckt und kultiviert erneut die „„Mütterlichkeit““ und sucht die weibliche Identität in der lebensspendenden Kraft des Gebärens, die der lebens- und menschenverachtenden Macht männlicher Rationalität entgegengesetzt wird. Autonome Feministinnen streiten für die Selbstbestimmung der Frau, die den gesellschaftlichen Rahmen, die sozialen Muster und „„Notwendigkeiten““ sich nicht mehr von den Männern vorschreiben läßt, sondern selbständig, ihren Bedürfnissen und Interessen gemäß, ausgestalten will. Und weiterhin kämpfen die Sozialistinnen in der Frauenbewegung um die reale Gleichberechtigung von Mann und Frau Zuhause, am Arbeitsplatz und im politischen Leben.

Diesen Befreiungsbestrebungen steht das konservative Frauenbild entgegen. Nicht um die Selbstbestimmung gehe es, sondern um die Erfüllung vorgegebener, nicht selbstgewählter Zwecke und Aufgaben, deren wesentliche für die Frau das Mutter-Sein sei. Nicht in ihr, sondern außer ihr, im Ehemann und in den Kindern, habe die Frau ihren Lebenssinn. Ihre Mißachtung bringe kein Mehr, sondern ein Weniger an Freiheit für die Frauen.

Angesichts dieser ideologischen und politischen Kontroverse zwischen Selbst- und Fremdbestimmung sieht sich die Frauenbewegung verstärkt auch zur philosophischen Reflexion herausgefordert. Verkehrt sich nicht der befreiende Mythos von der Weib- und Mütterlichkeit automatisch in der Realität in jenes triste Hausfrauendasein, dem frau ja gerade entfliehen wollte?

Führt andererseits die aktive Auseinandersetzung mit und in den patriarchalen Strukturen nicht ungewollt zum Verlust der Autonomie der Frauen? Stehen sich die drei Ideale der Frauenbewegung, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die matriarchale Gestaltung der Gesellschaft sowie der Wunsch nach Fortpflanzung, in der Realität unauflöslich entgegen, oder muß es Formen ihrer dialektischen Vereinigung geben? Fragen zum Verhältnis von Mythos und Realität, von Selbstbestimmung und -Verwirklichung, von Gegensatz und Einheit, die in der Krise akut werden.

Den Anfang macht ein ausführliches Gespräch mit Heide Göttner-Abendroth zum Thema „“Matriarchat – Spiritualität – Integrität““, das sich mit den Grundfragen der Theorie und Praxis der Frauenbewegung, ihren Forschungs- und Organisationsaufgaben befaßt.

Ihm folgt der Beitrag von Karin Gaube „„Heil Dir, Mutter Erde. Konservative Frauenpolitik in der Krise““, der den Stand, die Herausforderungen und Perspektiven der Frauenbewegung zum Gegenstand hat.

„Wie steht es mit der weiblichen Logik?““ Ulrike Schwemmer setzt sich mit dem Verhältnis von geschlechtsspezifischem und -neutralem Denken und Erkennen in der Philosophie auseinander. Konrad Lotter gibt mit seinem Artikel „“Gibt es eine feministische Philosophie?““ eine begriffliche Skizze der Konstitutionsprobleme eines solchen eigenständigen Philosophieansatzes.

Eine Kontroverse führen Hans Mittermüller und Manon Maren Grisebach unter dem Titel „“Wider den Mythos von ’Frau und Natur’. Eine Kritik GRÜNER FRAUENPHILOSOPHIE““.

„Einmischung oder Autonomie?““ heißt der Titel des Aufsatzes von Karin Jurczyk und Carmen Tatschmurat, die sich mit der Situation der Wissenschaftlerinnen in den Institutionen befassen.

Ruth Leonhard und Elfriede Huebert setzen sich in ihrem Beitrag „„Hausarbeit als patriarchale Ausbeutung? Zur Diskussion der Repro-duktionstheorien““ kritisch mit den wesentlichen Richtungen und Forschungsansätzen in der sog. „“Hausarbeit-Debatte““ auseinander.

Aus eigener Erfahrung schildert Dagmar Fries das spannungsreiche Verhältnis, die Erfolge und Probleme, von „“Frauen und Gewerkschaftsarbeit““.

Daß das Frauenthema auch Männer beschäftigt und herausfordert, macht abschließend Götz Bonk in seinem Beitrag „„Männer und die Emanzipation““ deutlich.

Den Artikeln schließt sich eine Reihe von Rezensionen zum Thema aus philosophischer, theologischer, sozialwissenschaftlicher und öko-nomischer Sicht an.

Den Band beschließen ein Kongreßbericht, ein Leserbrief zur Umfrage des WIDERSPRUCHS unter Philosophie-Student/inn/en und die Glosse zu einem einschlägigen Frauenfilm.

Die Redaktion