Jürgen Habermas: „Es musste etwas besser werden…“ Gespräche mit Stefan Müller-Doohm und Roman Yos

geb., 273 S., 28,– €, Suhrkamp-Verlag, Berlin 2024

von Fritz Reheis

Google-Forscher haben jetzt eine „Habermas-Maschine“ entwickelt. Sie soll mithilfe von Künstlicher Intelligenz Menschen im politischen Diskurs zusammenführen können, war zu lesen. Ein letzter, schlagender Beweis, dass es sich bei Jürgen Habermas um einen Ausnahme-Intellektuellen handelt. Habermas, geboren 1929, ist bekanntlich Philosoph und Soziologe gleichermaßen, Begründer der zweiten Generation der Frankfurter Schule und ein durch und durch politischer Mensch, der sich vielfach, zuletzt beim Ukraine-Krieg, in die öffentliche Debatte wortstark eingemischt hat. Inzwischen sind mehr als 250 Interviews mit ihm weltweit publiziert worden.

Der vorliegende Band enthält ein Großinterview, geführt von Stefan Müller-Doohm, emeritierter Professor für Soziologie an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, und Roman Yos, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Fachgruppe Philosophie an der Bergischen Universität Wuppertal. Beide sind ausgewiesene Habermas-Kenner. Die Besonderheit seines Werkes bestehe darin, so die Einleitung zu einer der Fragen an Habermas, dass er die positiven wie negativen Einflüsse auf sein Werk „nicht nur ordnungsgemäß in Fußnoten“ verzeichne, „sondern geradezu offensiv sichtbar“ mache, „nämlich in einer Vielzahl von Würdigungen, Nachrufen und Portraits“. Habermas habe ein „Subgenre“ des Schreibens entwickelt, dem er bis heute die „Treue“ halte (187). Das Interview mit Habermas beruht auf zwei Treffen am Starnberger See sowie auf einem über viele Monate geführten Mail-Dialog. Die Interviewer vereinbarten mit Habermas, „dass die an ihn gerichteten Fragen sowohl biographische Kontexte berühren als auch „Platz für theoretische Erörterungen und Revisionen einräumen sollten“ (246).

Die Gliederung des Gesprächsbands folgt der Biographie. Es geht um die Stationen Göttingen, Bonn, Frankfurt, Marburg, Heidelberg, erneut Frankfurt, Starnberg und schließlich noch einmal Frankfurt. Thematisiert werden unter anderem die erste Orientierungssuche zwischen Soziologie und Philosophie, die Begegnung und konstruktive Verarbeitung der Kritischen Theorie, der Weg von der „Positivismuskritik“ zur „Kritik der funktionalistischen Vernunft“, vom „nachmetaphysischen Denken“ zur „detranszendentalisierten Vernunft“ und schließlich sein jüngstes Großwerk „Auch eine Geschichte der Philosophie“. „Immer wieder wird deutlich“, so verrät der Einbandtext des Verlags, worum es diesem Philosophen im Kern geht: um „die Begründung des Quäntchens Vernunftvertrauen und der Pflicht zum Gebrauch unserer Vernunft“.

Diese Begründung hängt für Habermas eng mit dem Verhältnis von Soziologie und Philosophie zusammen. „Mich bewegt das Problem, wie ein fragiles und bisher immer wieder zerreißendes soziales Zusammenleben gelingen kann … Mein ‚letztes’ Motiv ist, wenn Sie wollen, die befreiende Kraft des Wortes, die sich nur in den reziprok-egalitären Anerkennungsverhältnissen einer vollständig individuierenden Vergesellschaftung ganz entfalten könnte“ (15 f.). Habermas spricht von einer „Balance“ zwischen „Nähe und Ferne“, „Ja und Nein“, „Zustimmung und Widerspruch“, von „kommunikativen Erfahrungen“, wie sie nur in „sozial halbwegs integrierten Verhältnissen“ möglich seien (16). In Anknüpfung an Kant, Fichte, Schelling und Hegel begleite sein ganzes Werk das Ziel, „eine religiöse Intuition restlos ins Säkulare zu überführen“ (16). Und auf dem Buchcover lesen wir: „Ich halte das Streben, die Welt um ein Winziges besser zu machen oder auch nur dazu beizutragen, die stets drohende Regression aufzuhalten, für ein ganz unverächtliches Motiv.“

Ein Buch, das nicht nur als Einführung in den „Habermas-Kosmos“, sondern auch für fortgeschrittene Habermas-Leser empfohlen werden kann. Das Namensregister erleichtert die Orientierung. Ein Stichwortregister sowie eine Übersicht über Stationen und Wirkstätten sucht der Leser freilich vergeblich.

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