Ulrike Marz
Wut auf Differenz
Kritische Theorie und die Kritik des Rassismus
br., 378 Seiten, 39,- €
Bielefeld 2023, transcript-Verlag
von Marija Bogeljic-Petersen
Bereits im Vorwort nennt die Autorin drei Gründe, warum der Rassismus wissenschaftlich stets relevant bleibt. Erstens sitzt die Annahme tief, dass Menschen mit ähnlichem Aussehen eine Gruppe bilden und bestimmte Eigenschaften teilen. Wissenschaftliche Widerlegungen allein lösen solche sozialen Praktiken nicht auf. Zweitens erzeugen selbst Antirassismus-Positionen neue Varianten, etwa den kulturalistischen Rassismus, der biologische Zuschreibungen durch kulturelle ersetzt. Und drittens verbindet sich Rassismus mit postfaktischen Tendenzen und passt durch seine Widersprüchlichkeit gut zu Debatten, welche die Wahrheit gering schätzen, zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik. Seine Irrationalität bleibt zudem an die Rationalität kapitalistischer Gesellschaften anschließbar.
Dieses Zusammenspiel von Unvernunft und kapitalistischer Logik mache somit den Rassismus zu einem zentralen Gegenstand Kritischer Theorie, die gesellschaftliche Ideologiefunktionen mit dem Blick auf psychische Strukturen im Subjekt verbindet. Marz’ leitende These lautet: Moderner Rassismus dient als Verarbeitung gesellschaftlicher Anforderungen, die als naturgegeben erscheinen (9). Zugleich fehlt es den Subjekten an kritischem Reflexionsvermögen, sowohl gegenüber sozialen Zusammenhängen als auch gegenüber eigenen Bedürfnissen und Konflikten. Ideologiekritik müsse deshalb um eine stärkere Hinwendung zum Subjekt ergänzt werden, wie es bereits die frühe Kritische Theorie tat.
Marz verfolgt in ihrer Studie zwei Ziele. Sie möchte erstens die unterschiedlichen theoretischen Ansätze der Rassismusforschung sowie deren verschiedene Deutungen wieder stärker in die aktuelle wissenschaftliche und politische Debatte einbringen; und sie zielt zweitens darauf, die Kritische Theorie weiterzuentwickeln, indem sie deren Überlegungen mit dem Forschungsfeld Rassismus konfrontiert, das bisher nicht systematisch aus dieser Perspektive untersucht worden sei. Obwohl Adorno und Horkheimer keine eigene Rassismustheorie vorgelegt hätten, fänden sich in ihrer Gesellschaftskritik immer wieder Hinweise auf rassismuskritische Gedanken, meist im Zusammenhang mit Antisemitismus oder in Überlegungen zu Rassenvorurteilen. Diese Spuren arbeitet die Autorin ausführlich in ihrem Hauptanliegen heraus, einen Ansatz für eine Kritische Theorie des Rassismus zu entwickeln. Dieser sei dabei doppeldeutig zu verstehen: Als theoretischer Bezugspunkt und zugleich als Versuch, die Grundlagen einer solchen Theorie zu begründen. Dazu greift Marz ausdrücklich auf die frühen Überlegungen der Kritischen Theorie zurück und versucht, den Rassismus mit deren methodischem und begrifflichem Instrumentarium zu beschreiben und zu kritisieren. Es wirkt daher folgerichtig, wenn das zweite Kapitel den Titel „Methode als geronnener Inhalt – Der Kritikbegriff Kritischer Theorie“ trägt. In ihm reflektiert Marz zunächst die zentralen Elemente des Kritikbegriffs bei Adorno und Horkheimer und arbeitet „Leid als Maßstab“, „immanente Kritik als materialistische Kritik“, „Negativität und negative Dialektik“ sowie „Historizität“ systematisch heraus. Diese Prinzipien prüft sie dann in Hinblick auf ihre Eignung für das methodische Verfahren der Analyse des Rassismus.
Im dritten Kapitel „Metamorphosen des Rassismus – Natur und Kultur“ oder prägnanter: „Aus ‚Rasse‘ wurde Kultur“ (51) geht sie zunächst detailliert auf den vormodernen und modernen Rassebegriff sowie auf den biologistischen Rassismus ein – nicht vergessend, dass Menschenrassen nicht nur in den Naturwissenschaften propagiert wurden, sondern dass auch bei den Philosophen Kant, Fichte oder Hegel (als rare Ausnahme, die die Regel bestätigt, Herder) deren „Verstrickung“ und „Widersprüchlichkeit“ bis heute ein Problem für „aufklärerische Rassismuskritik“ bleibt (56). Den zynischen Gedanken der Nationalsozialisten, wonach getrennte Menschengruppen eine friedliche Ordnung sichern sollten, sieht Marz dann im Ethnopluralismus der Neuen Rechten fortgeführt. Dort bleibt die Vorstellung bestehen, dass es eine vermeintlich natürlich berechtigte Gesellschaft gebe und eine Gruppe von Nichtberechtigten, die etwa mit dem Hinweis ausgeschlossen werden, sie hätten zu wenig zum Sozialsystem beigetragen. Der Ethnopluralismus bildet für Marz das zentrale Ideologiefragment eines Neo-Rassismus, der den Begriff „Rasse“ meidet und ihn durch „Kultur“ und „Ethnie“ ersetzt.
In einem Unterkapitel widmet sie sich der Frage, ob die Debatten um die „kulturelle Aneignung“ einem linken Ethnopluralismus ähneln. Sie nennt zwei Aspekte: Erstens greifen Hinweise auf „hybride Identitäten“ wenig, weil Eingewanderte meist als kulturell geschlossene Gruppe wahrgenommen werden. Zweitens schwächt die Kritik an der „kulturellen Aneignung“ die Hoffnung auf eine kulturelle Öffnung. Denn wer Elemente als „fremd“ geltender Kulturen zum Zwecke der Vermarktung oder des Profits ausbeutet oder deren geistiges Eigentum, traditionelles Wissen, Frisuren, Kleidung, Nahrung etc. übernimmt, stehe schnell in der Kritik, dass solche Übernahmen nur aufgrund der Macht westlicher Gesellschaften möglich seien. Dadurch aber werden diese Kulturen als fest umrissen dargestellt und stereotypisiert. Das jedoch rückt sie in die Nähe eines rechten Denkens, dem die Kulturen auch als abgeschlossene Einheiten erscheinen.
Marz betont folglich, dass entscheidend sei, wie eine multikulturelle Gesellschaft begründet wird. Denn eine Fixierung auf die Differenz fördert den Rassismus, sodass auch das Denken in Minderheiten ausgrenzen kann. Egalität hingegen entsteht erst, wenn Kulturen dezentriert werden und keine ‚Leitkultur‘ vorausgesetzt wird. Der einzelne Mensch, so Marz, sollte Vorrang vor kulturellen Kollektiven haben. Denn erst dann werde die Freiheit, verschieden sein zu können, wirklich universal. Nur dort, wo der einzelne den Vorrang vor einem Kollektiv erhält, dem er zugeschrieben wird, könne eine Gesellschaft ihren Anspruch auf Individualität einlösen; und dort wäre die Freiheit, verschieden sein zu dürfen, universell.
Mit diesem Spannungsfeld zwischen Partikularismus und Universalismus und mit der Frage, ob die Kritik an kultureller Aneignung oder am Multikulturalismus tatsächlich antirassistisch ist oder doch ungewollt rassistische Muster stützt, führt Marz ins vierte Kapitel „Metamorphosen der Rassismustheorien – Objektivismus und Subjektivismus“ ein. In ihm untersucht sie historische Formen des Rassismus und theoretische Versuche, ihn kritisch zu fassen. Objektivistische Ansätze wie die von Robert Miles, Étienne Balibar und Stuart Hall liefern dabei wichtige Einsichten: Rassismus ist wandelbar; er passt sich sozialen Konflikten an und legitimiert Herrschaft, indem er Differenzen produziert, naturalisiert und in nationale Ingroups übersetzt. Diese Theorien schließen damit an zentrale Motive der Frankfurter Schule an wie die der verselbständigten Logik sozialer Institutionen oder der Funktion autoritärer Bindungen. Dabei betont Marz aber zugleich den Unterschiede zur frühen Kritischen Theorie, weil stärker an den Erfahrungen, dem Alltag und Privatem angesetzt wird. Nicht die Handlungsfähigkeit des Subjekts wird hervorgehoben, sondern vielmehr deren Gefährdung. Subjektivistische Perspektiven bedeuten hier, zu verstehen, wie die Möglichkeit zu selbstbewusstem Handeln und Mündigkeit objektiv eingeschränkt wird.
Im fünften Kapitel „In schlechter Gesellschaft“ skizziert die Autorin zunächst die Grundannahmen der Kritischen Theorie. Sie führt die Begriffe der ‚Mimesis‘ und ‚Idiosynkrasie‘ ein, um den Gesellschaftsbegriff erklären und die Position des Subjekts darin analysieren zu können. Anschließend erörtert sie die Rolle der Erfahrungin kapitalistischen Gesellschaften, um zu klären, wer die Rassismuskritik tragen kann. Den Abschluss bildet dann eine Analyse des Nichtidentischen im Kontext von Rassismus.
Dieser Begriff des Nichtidentischen, so Marz, ist für die Rassismusanalyse ambivalent: Denn einerseits zeigt er, dass der Rassismus ohne die Konstruktion eines Kollektivs der Rassifizierten nicht existieren kann, da die Identität der Rassifizierenden auf ihrer Abgrenzung gegen außen beruht. Adornos Konzept des Nichtidentischen verdeutlicht, wie nötig dieses Identifizieren der Anderen ist, um die eigene Identität zu stabilisieren. Jedoch gefährdet das Nichtidentische stets die angestrebte Geschlossenheit von Identitätskonstruktionen wie der „Rasse“, des „Volk“ oder der „Nation“. Andererseits aber eröffnet die Anerkennung des Nichtidentischen auch die Möglichkeit, diese Unterdrückung durch Zwangsidentifizierung zu beenden. Fraglich bleibt dabei, ob dieses Nichtidentische sichtbar gemacht werden soll, oder ob als Hoffnungsträger gesellschaftlicher Veränderung dienen kann. Auf keinen Fall, so Marz, darf es jedoch schlicht unter das Identische subsumiert werden.
Das sechste Kapitel „Rassismus und gesellschaftliche Objektivität“ beschreibt die Strukturen, die den Rassismus tragen. In ihm zeigt Marz, welche Elemente der marxschen Kritik der politischen Ökonomie für die Analyse von Rassismus zentral sind. Im Mittelpunkt stehen zwei Gedanken: erstens die Kritik von Marx an der „Geneseblindheit“ bürgerlichen Denkens, das gesellschaftlich Gewordenes, besonders die ökonomisch vermittelte Herrschaft, als Natur ausgibt; zweitens sein ideologiekritischer Hinweis, dass das Bürgertum an seinen eigenen Versprechen von Freiheit und Gleichheit scheitert. Darauf aufbauend zeigt Marz, wie Kritische Theorie gesellschaftliche Objektivität versteht: die Überausbeutung rassifizierter Arbeitskräfte, die dadurch erzeugte Konkurrenz sowie die Rolle des Staates, der gemeinsam mit dem Kapital rassistische Strukturen stabilisiert. Anschließend prüft Marz, ob die immanente Kritik ein geeignetes Instrument zur Analyse von Rassismus ist. Sie betont nit Rahel Jaeggi, dass die Ideologie der Gleichheit selbst Ungleichheit erzeugen kann. Entscheidend sei nicht das Nichterfüllen des Gleichheitsversprechens, sondern seine „verkehrte Verwirklichung“. So zeige sich, dass der moderne Kapitalismus rassistische Praktiken hervorbringt, obwohl er zugleich ihre Überwindung verspricht. Die Mechanismen, Menschen immer wieder rassistisch zu sortieren, sind eng mit den Mechanismen bürgerlicher Gleichheit verknüpft. Ein anschauliches Beispiel dafür bietet der Arbeitsmarkt: Warenbesitzende treten einander als Gleiche gegenüber, während Ausgeschlossene, etwa durch Arbeitsverbote oder Visaregeln, nicht zu dieser Gruppe der Gleichen zählen. Beide Logiken, die des Kapitals wie die des Rassismus, stufen sie als minderwertig ein, im ersten Fall aufgrund mangelnder Produktivität, im zweiten aufgrund vermeintlicher Natur. So erscheint Rassismus als struktureller Effekt kapitalistischer Ordnung, besonders im Zusammenspiel von Kapitalverwertung und Arbeit.
Damit kehrt Marz zurück zur klassischen Ideologiekritik: Ideologie bleibt eine Rechtfertigung von Herrschaft, die materialistisch verstanden werden müsse als Ergebnis bestimmter Produktionsweisen. Weil eine rein historische Perspektive jedoch nicht ausreicht, plädiert sie schließlich für eine Erweiterung des Ideologiebegriffs um die Kritik instrumenteller Vernunft, damit materialistische Analysen nicht durch relativistische Deutungen ersetzt werden.
Im siebten Kapitel „Die Wendung aufs Subjekt – Ressentiments, Autoritarismus, Rassismus“ werden die Fragen aufgegriffen, warum sich nicht alle Menschen antidemokratischen Bewegungen anschließen? Warum machen „Arbeiter und Angestellte“ keine Revolution, sondern unterstützen in weiten Teilen die neuen autoritären Bewegungen in Europa? (243) Marz verbindet hier einen antipsychologisch und objektivistisch gelesenen Marx mit der psychoanalytischen Subjekttheorie der Frankfurter Schule, deren Studien zum Autoritarismus sie in den Mittelpunkt stellt. Dieser gilt als Syndrom, das Menschen besonders empfänglich für politische Vorurteile und Aggressionen macht. Seine Erklärung gelinge jedoch nicht nur durch die bloßen Inhalte autoritärer Angebote, sondern vor allem in den psychologischen Reizen, die sie aussenden, und der Resonanz, die sie bei bestimmten Personen finden. Sie zeigt dabei zunächst im Abschnitt „Sozialpsychologie, Psychoanalyse und Kritische Theorie“ die Bedeutung psychoanalytischer Ansätze, stellt danach die Forschung zum autoritären Charakter vor und diskutiert verschiedene Perspektiven, wie gesellschaftliche Bedingungen autoritäre Bedürfnisse erzeugen. Abschließend analysiert sie aus autoritarismuskritischer Sicht das Verhältnis des Rassismus zu anderen Ideologien.
Vor diesem Hintergrund erscheint das Unterkapitel „Rassistisches Meinen“ angesichts heutiger Social-Media-Debatten fast unabdingbar. Marz fragt, warum Menschen rassistische Positionen über- und einnehmen. Diese Aneignung sei ein kollektiver Prozess der Entfremdung, der aber als individuelle, frei geäußerte Meinung erscheint. Wer sich im Einklang mit anderen erlebt, fühlt sich bestätigt, die eigene Meinung wirkt normal und wahr. Diese „normale“ Form des Meinens hat Adorno von ihrer pathischen Ausprägung unterschieden. Das Pathische, „das Deformierte und Aberwitzige von Kollektivideen“, liege bereits in der Struktur des Meinens selbst, in der „die reale Dynamik der Gesellschaft steckt“ (267). Durchschnittliche Meinungen werden so fetischisiert, sie wirken wahr, obwohl sie ideologisch sind. Die Vorstellung, Menschen in „Rassen“ einteilen zu können, kompensiere eine Ich-Schwäche, die Adorno als Folge der Ohnmacht des Subjekts gegenüber der Gesellschaft deutet (269). Der objektive Zustand der Entfremdung erzeuge damit subjektiv irrationale Formen pathischen Meinens. Hier hält sich Meinung nicht durch Prüfung, sondern durch emotionale Besetzung. In postfaktischen Debatten wird sie zusätzlich aufgewertet: In ihnen ersetzt die abstrakte Gleichheit der Meinungen den Streit um Argumente durch einen Kampf um die Macht. Unter diesem Schild aber kann der Rassismus wieder als Ressentiment auftreten, als bloßer Wille, die „Anderen“ nicht zu mögen und nicht zu ertragen, ohne dies begründen zu müssen, weil es nur als Meinung erscheint.
Im letzten Kapitel „Kein Ende in Sicht“ fasst Marz ihre Studie in 17 Thesen zusammen. Diese bieten eine knappe, fast tabellarische Übersicht über die vorangegangenen 300 Seiten und sind klarer strukturiert als manche der zuvor weit ausholenden Passagen, in denen man oft zurückblättern musste, um der Argumentation zu folgen. Sie greift hier die zentralen Begriffspaare wieder auf: Partikularismus und Universalismus, Objektivismus und Subjektivismus sowie Natur und Kultur, nun aber in einem durchgehenden Argumentationsfluss ohne die vielen Exkurse zu einzelnen Theoretikerinnen und Theoretikern.
Die Stärke der Darstellung in ihrem Buch liegt darin, aus unterschiedlichen Perspektiven zu zeigen, warum eine kritische Theorie des Rassismus dessen Reduktion auf Vorurteile zurückweisen muss. Zwar bleiben Vorurteile wichtige Untersuchungsgegenstände, weil sie ideologische Inhalte in subjektive Wahrnehmungen übersetzen und psychologisch ein Eigenleben entwickeln können. Doch sie sind zugleich Symptome einer gesellschaftlichen Logik, die rassistische Welterklärungen als Herrschaftspraxis stabilisiert. Als Ideologie rechtfertigt der Rassismus die Ungleichheit in einer Gesellschaft, die sich selbst über Gleichheit definiert. Wer den Rassismus daher nur als individuelles Vorurteil deutet, verschiebt diese Struktur auf einzelne Personen und setzt auf pädagogische oder psychologische Korrektur, ohne jedoch die Bedingungen zu verändern, die dieses Denken produzieren.
Der ideologische Kern des Rassismus liegt für Marz darin, Ungleichheit und Ausbeutung zu legitimieren, sei es nachträglich oder vorausschauend (310). Zugleich wird hier aber auch eine Schwäche sichtbar: Die starke Betonung struktureller Logiken lässt wenig Raum für Fragen nach der politischen Handlungsfähigkeit und nach den Brüchen, in denen rassistische Ideologien auch scheitern. Dennoch liefert sie eine wichtige Einsicht: Kritische Theorie kann sich nicht für eine kollektiv festgelegte Form des Nicht-Identischen einsetzen. Ihre Betonung des Nicht-Identischen richtet sich gegen den subsumierenden Charakter jedes Identitätsdenkens. Sie will die Unsichtbaren sichtbar machen, ohne die Identität zu verabsolutieren. Damit übt sie auch Kritik an der Identitätspolitik. Rechte Identitätspolitik strebt nach Homogenisierung; linke Identitätspolitik will das Heterogene stärken, betont aber oft die Gruppe statt die geteilten Erfahrungen. Im Zentrum sollten nicht Identitäten stehen, sondern die Sichtbarkeit gemeinsamer Erfahrung und ihr politischer Umgang. Marz erinnert daran, dass Ideologie nicht im Kopf entsteht, sondern in gesellschaftlichen Verhältnissen, die sie erzeugen. Befreiung liegt daher nicht im Festschreiben von Gruppenmerkmalen, sondern in der Kritik der Verhältnisse, die diese Merkmale politisch aufladen. Identitätspolitik ist produktiv nur dann, wenn sie Ausdruck geteilter Erfahrung ist. Kritische Theorie betont und erinnert, dass politische Kämpfe ihre Form wechseln müssen, um nicht das zu reproduzieren, was sie doch überwinden wollen.