Heft 14: Heimat

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7. Jahrgang, 1987, 160 Seiten, broschiert

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Noch zu den Zeiten der Studentenbewegung und der sozialliberalen Koalition war „Heimat“ (zumal unter Linken) verpönt. Zum einen war gesellschaftlicher Fortschritt angesagt, Reformen und, mit der Ostpolitik, eine neue Ebene der internationalen Verständigung. Zum anderen wurde „Heimat“ politisch mit Rassismus und Revanchismus, geistig mit Engstirnigkeit, ästhetisch mit Unterhaltungskitsch und Fremdenverkehrsfassade wenn nicht gleichgesetzt, so doch zumindest assoziiert.

Das änderte sich mit der „Wende“ und ihrem Programm der „geistig-moralischen Erneuerung“. Die neu einsetzende „Heimat“- Konjunktur nahm unmittelbar die Tradition der anti-aufklärerischen Lebensphilosophie wieder auf, die Heimat mit Leben, mit Rückbindung an den „kosmischen Takt“ gleichsetzte und im Gegensatz zu Zivilisation, Massengesellschaft (und damit im Gegensatz zu Rationalität, Technik etc.) begriff. Zugleich aber machten ideologische Bedürfnisse im Zusammenhang mit dem Ausbau der Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf dem Weltmarkt entscheidende Korrekturen an dieser Tradition fällig.

Von Tönnies bis Spengler, von Nietzsche bis Jaspers und Heidegger war man sich darin einig, daß die Industriegesellschaft mit ihren Großstädten die Heimat zerstöre und daß der moderne Mensch ein heimatloses Wesen sei. Heute dagegen stehen Heimat und Industriegesellschaft in schöner Eintracht und einander ergänzend nebeneinander. In der Heimat, und das heißt nun im Kleinen, im Privaten, in der Familie, in der Freizeit soll jene Identität, jener Sinn, jene soziale Harmonie gefunden werden, die im Großen der Produktion und der politischen Öffentlichkeit längst drangegeben sind. Damit hat „Heimat“ ihre geschichtsphilosophische Dimension verloren. Einerseits ist sie auf die Trivialität von Dialekt, Trachtenverein, „Stubnmusi“, Maibaum und Wallfahrt heruntergekommen; andererseits wird versucht, mit Hilfe der Heimat die real existierende Entfremdung zu kompensieren.

Wer sich heute mit „Heimat“ beschäftigt, der sieht sich nicht nur mit einem diskreditierten Begriff, sondern vor allem auch mit einer Welt konfrontiert, die infolge von Rüstung und militärischen Auseinandersetzungen, von Zerstörung des natürlichen Lebensraums und einer durch Arbeitslosigkeit erzwungenen Mobilität immer unwirtlicher wird. So (relativ) leicht es ist, die Interessen zu durchschauen, die in einem ideologischen Begriff von Heimat zum Ausdruck kommen, so schwer fällt es, selbst einen glaubwürdigen und d.h. einen die genannten Probleme mit-reflektierenden Begriff zu entwickeln.

Als Ansatz immerhin ist erstens zu nennen, daß Heimat nicht nur den Raum, sondern auch die Menschen umschließt und deshalb nicht jenseits, sondern innerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse zu verwirklichen ist. Zweitens, daß Heimat nicht von Natur (oder gar von Gott) dem Menschen gegeben ist, sondern geschichtlich geschaffen, erworben, angeeignet werden muß und zwar als fortschreitende Aufhebung des Fremden. Drittens, daß Heimat nicht in Tradition, Brauchtum und Sitte erstarrt, sondern lebendig und widersprüchlich bleibt. Sie ist nicht nur positiv mit Sicherheit und Geborgenheit, sondern immer zugleich auch negativ mit Enge und Beschränktheit gleichzusetzen, so daß der Verlust der Heimat auf allen geschichtlichen Stufen nicht nur den Schmerz des Abschieds mit sich bringt, sondern auch die Lust des Aufbruchs und der neuen Weite.

Innerhalb der vorliegenden Artikel lassen sich drei Gruppen unterscheiden. Manuela Günter und Thomas Wimmer diskutieren historisch und systematisch das Verhältnis von Philosophie und „Heimat“. Jürgen Hofmann, ein Historiker aus der DDR, stellt den marxistisch-leninistischen Heimatbegriff dar. Mit der Heimatlosigkeit der Frauen in der Philosophie beschäftigt sich der Beitrag von Elisabeth Strauß und Hanna Lauterbach. Den Abschluß bildet eine Umfrage, in der sich Manon Andreas-Grisebach, Peter Cornelius Mayer-Tasch, Burghart Schmidt, Kaspar Maase, Edgar Gärtner, Dieter Reithmeier und Herbert Achternbusch auch mit persönlichen Bekenntnissen zur Zukunft der Heimat äußern.

Die zweite Gruppe thematisiert das Verhältnis Heimat und Kunst. Es geht darin um Heimat in der Kulturwissenschaft (Matthias Grässlin), in Architektur und Stadtleben (Heinz Paetzold), im Film (Georg Koch), in der Lyrik (Michael Basse) und im Kitsch (Katja Riefler).

Um Politik geht es in der dritten Gruppe. Angelika Kansy und Christian Sebald setzen sich kritisch mit dem Heimatbegriff der CDU/CSU auseinander. Die Glosse von Wolfgang Höppe bringt einige Sumpfblüten zur Sprache, die „Heimat“ bei den Vertriebenenverbänden getrieben hat.

Elmar Treptows Beitrag über die „Kieler Affäre“, in dem er insbesondere auf die Argumentationsmuster ihrer ideologischen Verarbeitung aufmerksam macht, eröffnet die neue Rubrik „Sonderthema“, mit der der „Widerspruch“ künftig regelmäßig aufwarten wird.

Wie immer wird das Heft mit Rezensionen, insbesondere zum Thema „Heimat“, sowie Kongreßberichten und anderen Informationen be-schlossen.

Die Redaktion